Ansichten zur Opernregie

  • Ecclitico schrieb gestern in einem anderen Thread unter anderem folgendes:

    Apropos (wir müssen das ggf. in einem passenden Thread weiter diskutieren):

    "Regietheater" ist bekanntlich ein umstrittener Begriff. Manche Leute behaupten, das gäbe es gar nicht, weil es sich nicht definieren lässt.

    Darauf bezogen würde ich gerne meine persönliche Ansicht schreiben und somit zur Diskussion stellen, denn ich glaube, dass ein gewisser Diskussionsbedarf besteht:

    1. Das „Regietheater“ gibt es tatsächlich nicht, denn es ist ein unsinniger Begriff. Theateraufführungen kommen in der Regel nicht ohne Regie aus, also ist das Wort „Regietheater“ ähnlich sinnlos gebildet wie „Musiziermusik“ oder „Federpennal“. (hoppla, letzteren Begriff gibt es ja wirklich!)
    2. Mit „Regietheater“ ist in der Regel „Verunstaltungstheater“ gemeint (dieser Begriff stammt nicht von mir), vorgeworfen wird den Regisseuren, die klassischen Werke der alten Meister zu verunstalten bzw. zu zerstören. Ich sage dagegen: Es gibt kein „Werk“, das ein Regisseur „zerstören“ kann. Wenn der Regisseur X in der Stadt x eine bestimmte Oper „zerstört“, ist diese Oper in gar keiner Weise zerstört, denn der Regisseur Y kann in der Stadt y dieselbe Oper ganz anders inszenieren, die Oper ist somit keinesfalls zerstört. Anders ist es beim Übermalen etc. von bildender Kunst.
    3. Eine Opernaufführung ist ja kein historisches Ereignis, sondern eine zeitgenössische Aufführung, die überdies einmalig und unwiederholbar ist. Daher ergibt sich für mich, dass die Regieanweisungen des Librettos nicht beachtet werden müssen, sondern der Regisseur soll eine ihm überzeugend scheinende Inszenierung schaffen. Ob sie mich und andere überzeugt, muss man im Einzelfall entscheiden.
    4. Soweit ich informiert bin, ist die Ansicht, eine Oper solle historisch inszeniert und als historisches Theaterereignis begriffen werden, eine Ansicht des späten 19. Jahrhunderts, davor wurden Opern meinem Wissensstand nach als zeitgenössische Aufführungen betrachtet, mit zeitgenössischen Kostümen (so wie in Werken bildender Kunst die Jünger Jesu zeitgenössische Kostüme tragen und nicht solche, die um das Jahr 0 üblich waren). Ebenso kommt die Vorstellung des Autors ja erst im 19. Jahrhundert auf, davor gab es kein Urheberrecht.
    5. Meiner Beobachtung geht es bei der Kritik am „Regietheater“ nicht um wirkliche „Werktreue“, sondern um das Festhalten an liebgewonnen Traditionen bzw. an liebgewonnener Aufführungspraxis. Außerdem wird oft die Regie kritisiert, wenn man das Bühnenbild oder die Kostüme kritisieren will (natürlich gehört das alles irgendwie zusammen).
    6. Für mich persönlich ist in einer Opernaufführung die Musik wichtiger als die Regie. Aber ich sehe keine Notwendigkeit dafür, die musikalische Darbietung für wichtiger zu halten als die szenische.
  • Aus folgendem Werk zitiere ich jetzt und hänge persönliche Kommentare, die auch unterschiedliche Aspekte des Angebots von "Regietheater" und ihre kritische Beleuchtung beinhalten, an:

    "Erwartungen an den Opernbesuch und bevorzugte Inszenierungsstile. Eine empirische Analyse der ästhetischen Präferenzen von Opernbesuchern", Autor: Karl-Heinz Reuband. Der Text findet sich auch im Internet unter: http://www.fachverband-kulturm…gteInszenierungsstile.pdf



    1) "[...] erweist sich das musikalische Erleben für sie als wichtigster Aspekt. Rund vier Fünftel der Düsseldorfer und Kölner Befragten stufen diesen Aspekt als „sehr wichtig“ ein. An zweiter Stelle folgen die sängerischen Leistungen mit

    Werten von 77 % bzw. 66 % (vgl. Tab. 1)."


    Das zeigt deutlich, dass Oper primär als ein musikalisches Ereignis wahrgenommen wird. Regie ist sekundär, dient damit der Darbietung des primär Musikalischen.


    2) "Und danach hat die Inszenierungspraxis eine gegenüber der Musik höchst nachrangige Funktion."


    Das sollten Regiekonzeptionen berücksichtigen und auch Intendanten. Denn es stellt sich damit auch die Frage, wie aufwendig Regie sein sollte, wenn die Menschen doch vor allem Musik hören und erleben wollen.


    3) "Es geht für sie um Emotionen, nicht um eine intellektuelle Dechiffrierung des Geschehens."


    Das war schon für Wagner das Entscheidende. Über die Emotion gelangt man zum Nachdenken. Bei mir persönlich ist das anders. Ich suche gerne Impulse zum Nachdenken über das Werk, auch oft beim Hören des Werkes und bin dankbar, wenn die Regie mir solche Impulse gibt. Ich muss allerdings den Eindruck haben, dass die Impulse aus dem Werk oder / und der Intention des Komponisten abgeleitet sind, denn nicht die Willkür des Regisseurs interessiert mich, sondern die Tiefendimension des Werkes.


    4) "Und bei musikalischem Erleben wiederum geht es nicht in erster Linie um die Sänger und ihre Spitzenleistung, sondern das Gesamterleben, von dem die Sänger lediglich ein Bestandteil sind."


    Ich kenne viele, bei denen es anders ist. Aber bei mir ist es genauso, wie die Studie sagt: die Sänger betrachte ich nicht vor allem als Stars und Virtuosen, sondern als musikalisch und darstellerisch Ausübende, die mit dem Orchester zusammen eine Gesamtleistung bringen. Ich erwarte keine Stars, sondern überzugende, packende und spannende musikalische Gesamtdarbietungen.


    5) "Unter den Opernbesuchern ist sehr wohl eine gewisse Aufgeschlossenheit für Experimente vorhanden. Die Frage ist eher, wo die Grenzen gezogen werden, was noch als tolerabel angesehen wird und was nicht."


    Das ist ja der springende Punkt. Es geht nicht um Schwarz - Weiß, so wie man immer wieder als Reaktionär - manche sagen "Staubi" - bezeichnet wird, wenn man nicht alles Regietheatralische kritiklos hinnimmt oder gar genial findet, man mag auch noch so offen sein. Ich habe auch gerne nicht in der Zeit der Handlung spielende Inszenierungen, wenn sie abstrahierend sind und mich die Inszenierung damit zum Nachdenken anregt und mir zugleich das Werk nahebringt.


    6) "Die Antworten zeigen (Tab. 2), dass in Düsseldorf wie in Köln eine relative  bzw. sogar absolute Mehrheit eine Aufführung in der Zeit der Handlung  vorzieht."


    Zu dieser Mehrheit gehöre ich nicht. Da die Anliegen des Werkes auch in Inszenierungen dargebracht werden können, die aus der Handlungszeit herausfallen, wenn sie denn wirklich auftauchen und wenn sie wirklich im Vordergrund stehen und nicht in der Inszenierung durch werkfremde Elemente überlagert werden.


    7) "Das ‚moderne‘ Regietheater, das sich in Gewand der Neuzeit  findet offensichtlich nur bei einer kleinen Minderheit explizit darstellt, Beifall"


    Das ist nichts Neues, und jeder der ins Theater geht, weiß und erlebt das. Nur einige wenige Regietheater - Freunde versuchen sich immer wieder das vernichtende Echo im Publkum schönzureden, sei es, dass sie es wirklich selbst glauben, sei es, dass sie anderen nur etwas vormachen wollen.


    8) "Gleichgültig wie alt jemand ist oder welche Bildung er hat – das musikalische Erleben steht im Vordergrund dessen, was er sich  von einem Opernbesuch in erster Linie erwartet."


    Wenn also neue Zielgruppen erreicht werden sollen, sollte ein Theater auf Musik setzen und nicht auf Skandal.


    9) Die besser Gebildeten sind weniger darauf festgelegt, dass das Geschehen in der Zeit der Handlung stattfindet. Sie sind aber auch nicht häufiger für eine Verlagerung in die Gegenwart.


    Ersteres ist klar. Als gebildeter Mensch ist man aufgrund seines Bildungshorizontes und seines Wissens eher fähig, Regietheater - Kapriolen zu verstehen und vielleicht auch bereit und daran gewöhnt, überhaupt über manche Verrenkungen des Regietheaters nachzudenken. Der zweite Satz des Zitats zeigt aber, dass Gebildete auch ohne Regietheater in der Lage sind nachzudenken. Auch in konservativen Inszenierungen können für mich Denkimpulse liegen. Denn konservativ muss ja nicht plakativ, langweilig, altbacken heißen. Auch konservative Inszenierungen können den Kern des Werkes freilegen und emotional wie kognitiv ansprechen.

    Und manche Werke fordern dringend die Berücksichtigung der Zeit, wenn etwa musikalische Formen vorkommen und in dem Stück eine Rolle spielen, die es zur Zeit der aktualisierten Zeit vielleicht noch gar nicht gab (s. dazu auch das eingestellte Interview mit M. Janowski).


    10) "[...] dass die Mehrheit der Zuschauer in Opernaufführungen  nicht Anregungen zum Nachdenken, sondern in erster Linie das musikalische Erleben suchen. Sie wünschen sich emotionale und nicht kognitive Erfahrungen. "


    Für mich muss das keine Alternative sein.


    11) "Und sie präferieren mehrheitlich einen Inszenierungsstil, der das Geschehen – in konkreter oder abstrahierender Form – in der Zeit der Handlung stattfinden lässt und nicht in der Gegenwart."


    Interessant, dass hier durch die Bestimmung "in abstrahierender Form" deutlich wird, dass die Aufführung zur Zeit der Handlung spielen lassen zu wollen nicht gleichzusetzen ist mit naturalistischer Darstellung. So einfältig sind Freude dessen, dass man die Handlung in ihrer Zeit belässt, wohl doch nicht!


    12) "Das Regietheater unterliegt eigenen Dynamiken und ist in Teilen ein selbstreferentielles System, das sich primär oder ausschließlich an den aktuellen, geläufigen Standards und Moden innerhalb der ‚RegieCommunity‘ orientiert, ohne die Rezipienten – das Publikum – zur Kenntnis zu nehmen. Es läuft dabei Gefahr, selbst in neugeschaffener Konvention zu erstarren.

    Bemerkenswert! Ein kleiner Kreis feiert sich selbst und lacht über das Publikum, dabei vergreist dieser kleine einstmals so avangardistische Kreis mehr und mehr und merkt gar nicht, wie alt und langweilig er geworden ist .


    13) "Inzwischen aber ist das moderne Regietheater längst an vielen Orten zur neuen Orthodoxie geworden"


    Und wehe, man widerspricht. Dann werden Kügel des Lästerns über einen ausgeschüttet und als Lieschen Müller oder Staubi unmöglich gemacht. Das ersetzt die Auseinandersetzung mit der Kritik, und man kann weitermachen wie bisher.


    14) "Dass sich manche Zuschauer dennoch am Schluss mit der Aufführung,  ja selbst der Inszenierung hinlänglich zufrieden äußern (REUBAND 2005a), dürfte teilweise darauf zurückzuführen sein, dass Opernbesucher Experimente nicht schlichtweg ablehnen, sondern dem Regisseur durchaus einen gewissen Spielraum einräumen. Teilweise arrangiert

    man sich auch mit dem Gesehenen, indem man sich vorstellt, dass es alles hätte noch schlimmer werden können: „Gelegentlich vernimmt man nach einer Vorstellung das fast erleichterte Aufatmen, dass es ja ‚sooo schlimm‘ gar nicht gewesen sei“ – als „handele es sich bei einer Theateraufführung nicht etwa um ästhetisches Vergnügen, sondern einen

    Zahnarztbesuch“ (FRIEDRICH 2005: 33)."


    Dieser Effekt wird dann fälschlicherweise so interpretiert, als habe das Publkum doch alles gutgefunden, was aber gar nicht der Fall war.


    15) "Partiell dürfte die geäußerte Zufriedenheit mit einer Inszenierung, die man aufgrund eigener ästhetischer Präferenzen eigentlich hätte ablehnen müssen, ebenfalls Folge eines unbewussten innerpsychischen

    Prozesses sein, der in der Sozialpsychologie als ‚kognitive Dissonanzreduktion‘ bezeichnet wird. Danach werden Entscheidungen, zumal wenn sie mit Ambivalenzen einhergehen, nachträglich durch konsonante Realitätsdeutungen kognitiv aufgewertet und abgesichert (FESTINGER 1957). Was im vorliegenden Fall bedeutet: Man rechtfertigt vor sich selbst im Nachhinein die Entscheidung, in die Oper gegangen zu sein, und man tut dies umso mehr, je mehr dies mit Aufwand und Kosten verbunden war. Die Positivbewertung einer Inszenierung, die man eigentlich hätte ablehnen müssen, fällt zudem umso leichter, je mehr andere Aspekte der Aufführung positive Eindrücke verschaffen. Das musikalische Erleben überlagert teilweise die Unzufriedenheit mit der Inszenierung und

    fließt in das Urteil mit ein (REUBAND 2005a)."

    Der Inhalt des Zitates Nr. 14 und der dieses Zitates sehe ich nach wie vor als einen der Hauptgründe an, warum in Bayreuth angeblich viele z.B. "Lohengrin" in der Regie von H. Neuenfels in Bayreuth, den so genannten "Rattengrin" so gut fanden. Es muss gut sein, es ist Bayreuth, ich habe viel dafür gezahlt, außerdem hätte es noch schlimmer kommen können. Nicht zu vergessen ist die Gewöhnung. Dass nach fünf Jahren Schlingensief nicht mehr viel gebuht und sich empört wurde, liegt doch vor allem an der Gewöhnung und nicht so sehr am wachsenden Gefallen des Publikums.


    16) "Unsere Befunde belegen, dass das Urteil über die ästhetischen Standards der Jüngeren der Realität unter den Opernbesuchern nicht gerecht wird und sich die Jüngeren in ihren ästhetischen Präferenzen nicht nennenswert

    von den Älteren unterscheiden."


    Darum sollte man z.B. etwa in Bayreuth schnellstens von der Vorstellung wegkommen, mit besondes schrägen Inszenierungen und Regie - Verpflichtungen könne man nachhaltig ein junges Publikum ansprechen. Gute Musik in überzeugender, spannender und professioneller Darbietung, orientiert am Werk. Damit erreicht man - vielleicht - auch Jüngere, vielleicht auch nicht. Aber in jedem Fall zieht Wagner mehr als Castorf, Meese, oder Schwarz nach Bayreuth und in andere Opernhäuser.


    17) " Daraus folgt, dass das Regietheater der Tendenz nach geeignet ist, den Einfluss der sozialen Kluft auf Opernbesuch und Nichtbesuch eher zu vergrößern als zu verringern."


    Wer, außer denen, die sich als Lobby für das "Regietheater" verstehen; wer, der die Oper kennt, wollte das bestreiten, auch vor der Kenntnis dieser Studie?


    18 ) "Das Regietheater, das einst in den 1960er Jahren im Kontext der Gesellschaftskritik entstand, versehen mit

    maßgeblichen Impulsen marxistischer und neomarxistischer Kritik, stabilisiert paradoxerweise das System sozialer Ungleichheit, das einst Anlass des eigenen Aufbegehrens war."


    Das müsste den Regietheater - Machern eigentlich wehtun. Aber es sind ja nicht mehr die aus den 1960er Jahren, es sind die von heute, denen damalige Neuerung heute zu einem salonsozialistischen Ruhekissen degeneriert ist.


    19) „Denn solange der Unmut ein gewisses Grummeln nicht übersteigt, fördert er die Attraktivität des Hauses: Nur die ausgebuhte Inszenierung garantiert Aufmerksamkeit“



    Ja, das ist schlimme ideologische Selbstrechtfertigung. Aber sie ist längst entlarvt, auch wenn sie noch immer unbeschämt den Kopf hoch trägt.


    20) "Doch Aufmerksamkeit im auswärtigen Feuilleton oder unter Intendanten und Kulturpolitikern kann nicht der Maßstab für Erfolg sein."


    Die Formulierung ist schlecht gewählt: "kann nicht" stimmt nicht. Sie kann schon, sie sollte aber nicht. Und darum muss das Publikum selbstbewusster werden und deutlicher sagen, was es denkt, und Theater sollten ihr Publikum in einen Diskurs hineinziehen, statt über dessen Köpfe hinweg Kulturpolitik zu machen und Opern an ihnen vorbei zu inszenieren. Das Publikum will ernstgenommen werden von den Kunstmachern und gefordert werden von der Kunst. Wenn beides zusammenkommt, wird es gelingen, das Publikum an sein Theater, seine Theatermacher und die aufgeführte Kunst zu binden.

    ---

    Umfasste das griechische Kunstwerk den Geist einer schönen Nation, so soll das Kunstwerk der Zukunft den Geist der freien Menschheit über alle Schranken der Nationalitäten hinaus umfassen; das nationale Wesen in ihm darf nur ein Schmuck, ein Reiz individueller Mannigfaltigkeit, nicht eine hemmende Schranke sein.
    (R. Wagner, Kunst und Revolution,1849)

  • Aufgabe von "Regie" ist es, auf der Grundlage des Kerns (oder der Kerne) des Werkes und / oder der Intention des Autors des Werkes diese oder jenen in den Vordergrund herauszuarbeiten, so dass der Hörer und Betrachter sich auf solche Weise mit dem Werk und / oder dem Autor beschäftigt. Auf solche Weise werden Gedanken und Emotionen geweckt. Ein Werk ist klassisch, sofern es eine solche Fülle von Deutungen aus ihm selbst heraus anbietet, dass es für jede Zeit neu spricht, insofern auch für jede Zeit neue Realisierungsmöglichkeiten gibt, so dass es weder nötig noch sinnvoll ist, dass der Regisseur dem Werk eigene, dem Werk fremde Gedanken aufdrückt und das Werk damit in den Hintergrund drängt. Gutes Theater ist mehr, als die nur den Kern des Stückes freizulegen. Aber dieses ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für gutes Theater.


    Wie kommt man aber nun zum "Kern" eines Werkes? Da kann man dem Regisseur raten, der - wie manche - behaupten, es gebe keinen "Kern" eines Werkes:
    Lesen Sie den Text und die Partitur, analysieren beides, fragen Sie sich: Worum geht es eigentlich in diesem Werk? Was sind Haupt- und Seitenthemen, mögliche Appelle, Ausdrücke von Gefühlen? Wer steht im Vordergrund und mit welchen Themen? Auf was soll vielleicht aufmerksam gemacht werden? Usw.

    Entwickeln Sie Hypothesen, gehen Sie ihnen nach, modifizieren oder verwerfen Sie sie, verfeinern Sie sie mehr und mehr. Möglicherweise schält sich dann etwas wie ein Kern oder mehrere davon heraus: Hauptaussagen, Hauptfragestellungen, Thesen, Gesellschaftskritik, irgendeine Botschaft über die Themen des Lebens, Liebe, Macht, Gott oder die Welt.

    Und wenn Sie nicht wissen, wie Sie das schaffen sollen, nehmen Sie sich ein Ihnen bekanntes Werk vor, z.B. den "Faust", den "Werther", den "Fidelio" etc. und fragen Sie sich, woher Sie denn meinen zu wissen, worum es in diesem Stück geht und warum Sie sicher wissen, dass es nicht um Aal in Gelee oder um Rasenpflege im Winter geht. Das hat mit den Personen, mit der Handlung, mit den Umständen, mit den Gefühlsregungen, den Interessen, den Konflkiten (zwischenmenschlichen und innermenschlichen) und vielen anderen zu tun. Dazu können Sie zeitgeschichtliche Aspekte berücksichtigen, Äußerungen des Autors bzw. Komponisten hinzuziehen. Ich bin sicher, das bringt Sie einer Antwort auf die Frage nach Kern, Haupttehmen, Hauptaussagen, Hauptkonfkliktlagen etc. näher. Wenn Sie allerdings meinen, dass sich die Suche gar nicht lohnt, weil sie zu keinem Ergebnis führen wird, dann fragen Sie sich mal, warum man eigentlich sich mit Literatur beschäftigen soll, wenn die Suche nach dem, was sie uns sagen kann, will, oder soll, letztlich vergeblich ist, und warum es eigentlich zahllose Sätze gibt, die (auch sinngemäß) lauten wie: "In N.N. geht es um...", auch von Literaturwissenschaftlern, Musikwissenschaftlern und Kennern. So ungefähr kommt man einer "werktreuen" Inszenierung näher.

    "Werktreu" heißt übrigens nicht gleich "historisierend" und eins zu eins eine Abbildung historischer Schauplätze, sondern den Ideengehalt des Werkes herausstellen. Das kann auch mit ganz modernen Mitteln geschehen, mit Abstraktion, mit Symbolismus, wie auch immer. Man kann natürlich auch historisierend inszenieren, ohne den Kern des Werkes zu erfassen. Manche, die "werktreu" als "historisierend" missverstehen, verwechseln wahrscheinlich auch "werktreu" mit "leicht konsumierbar". Ein gutes Beispiel dafür, wie "Regietheater" in höchstem Maße auch werktreu sein kann, zeigte der "Parsifal" in der Inszenierung von Herrn Herheim in Bayreuth. Es gilt also, keine falschen Fronten aufzubauen, sondern in jedem Fall zu fragen, ob dem Stück und / oder den Absichten des Autors gerecht geworden wird, ganz gleich, ob historisierend, abstrakt oder mit vollem "Regietheater" - Registern.

    ---

    Umfasste das griechische Kunstwerk den Geist einer schönen Nation, so soll das Kunstwerk der Zukunft den Geist der freien Menschheit über alle Schranken der Nationalitäten hinaus umfassen; das nationale Wesen in ihm darf nur ein Schmuck, ein Reiz individueller Mannigfaltigkeit, nicht eine hemmende Schranke sein.
    (R. Wagner, Kunst und Revolution,1849)

  • War Wieland Wagner als Regisseur ein Vertreter des Regietheaters?


    Jenseits aller Streitigkeiten darüber, wie man zum "Regietheater" steht und wer diese Frage warum, wie am liebsten beantwortet, ist das eine interessante Frage. Und sie verliert ihren Bekenntnischarakter, wenn man sie versucht ganz sachlich zu beantworten.

    Problematisch ist dabei schon, dass es keine geschützte Definition von "Regietheater" gibt.

    Aber wissenschaftsgestützt kann man sich fragen, ob und wenn ja, welche Kriterien des Regietheaters bei Wieland Wagner vorhanden sind bzw. fehlen.


    Zunächst: was führt dazu, zu vermuten, dass Wieland Wagner dem "Regietheater" zuzuzählen ist, dem er chronologisch ja vorausgeht.


    Nun, er achtet die Regieanweisungen nicht, hält sie für historisch bedingt und nicht verbindlich. Er propagiert, dass es keinen Denkmalschutz für Wagner gibt. Er entrümpelt die Bühne, er entsetzt damit das Publikum und widerspricht damit dessen Erwartungshaltung. Er wirkt damit revolutionär und als Publikumsschreck.


    All das sind auch Merkmale, an denen man Regietheater - Inszenierungen und -regisseure meint erkennen zu können.

    Aber hier trügt der Schein. Wieland Wagner ging es um die Rehabilitierung der Werke Wagners nach deren Instrumentalisierung durch den Nationalsozialismus. Es ging ihm darum, den Kern der Wagnerschen Werke wieder in den Vordergrund zu stellen. Das hieß zwangsläufig, sie nicht nur zu entpolitisieren sondern auch sie zu mystifizieren und zu verabsolutieren. Wieland will zwar nichts mehr vom „Bühnenweihfestspiel“ wissen. Ihm schwebt dennoch vor: „ein menschliches Mysterium von Liebe und Tod, von Erlösung und Güte“ (D. Mack, Der Bayreuther Inszenierungsstil, S. 21). Die Werke Wagners haben für ihn zeitlose Gültigkeit.


    Dass er die Kunst des Weglassens betreibt, ist noch kein Hinweis auf Regietheater – Nähe. Die Botschaft Wielands dabei ist:


    „Die sichtbaren Vorgänge dieses Mysteriums sind nur Gleichnisse, die handelnden Personen nicht bestimmte Individualitäten, … sondern Symbole für die Menschheit überhaupt.“ (W.E.Schäfer, Wieland Wagner, S. 70).


    Wieland sagt zur Karfreitagsaue: „… für meine Gestaltung war maßgebend, dass es sich in dieser Szene vielmehr um einen Durchbruch der drei handelnden bzw. leidenden Personen zur letzten geistigen Klarheit und Erkenntnis der letzten Weltverhältnisse handelt, als um ein romantisches Naturerlebnis.“ (in Mack, S. 102.104).


    Wieland Wagner entromantisiert, aber er entpolitisiert und entindividualisert auch, wobei er sich bekanntlich an den archetypischen Grundmustern von C.G. Jung orientiert.


    Ziel ist: „eine Verknappung des äußeren Aufwands zugunsten des inneren Wesenskerns, eine Rückführung von überzüchteter Theaterschaulust zum Innenbild, zur Seele der Werke Wagners, der Weg vom Schein zur Wahrheit, von der Unzulänglichkeit der szenischen Illusion zum Symbolwert und der inneren Spannung“. (zitiert bei Mack, S. 68).


    Weiter sagt Wieland: „Die Ideen des Wagnerschen Werkes sind zeitlos gültig, da sie ewig menschlich sind. Wagners Bild- und Regievorschriften jedoch gelten ausschließlich dem zeitgenössischen Theater des 19. Jahrhunderts. Ihre `werktreue´ Erfüllung ist … nicht mehr Kriterium einer heutigen Wagneraufführung.“ (a.a.O.).


    An diesen Zitaten lässt sich ablesen:


    Wieland Wagner teilt die Auffassung der späteren Regietheater – Theoretiker und – Praktiker, dass Regieanweisungen und Bühnenbeschreibungen aus dem 19. Jahrhundert keine Bedeutung mehr für heute haben. Darüber schimpften damals die sogenannten Alt – Wagnerianer. Das haben sie gemeinsam mit denen, die heutzutage auch etwa darüber schimpfen, wenn der "Lohengrin" in einem Labor und nicht am Ufer der Schelde spielt. Aber die Gemeinsamkeit ist nur eine oberflächliche. Und hier liegt das Missverständnis vor, wenn man Wieland Wagner zum Regietheater zugehörig erklärt: Wieland Wagner ging es um das Werk, das er für zeitlos gültig hielt, weshalb er es auch mit Leidenschaft inszeniert hat. Greift man also einzelne Aspekte heraus, so ähneln sich Wieland und das spätere Regie – Theater, aber beide trennen doch Welten.


    Wo sind denn nun die Gegensätze zwischen „Regietheater“ und Wieland?


    R. Waldschmidt schreibt in seiner Dissertation „Regietheater und Bühnenweihfestspiel“ von 1986, S. 116, von der Ironie in Wielands Unterfangen:


    „Gerade die - zumindest vordergründige – Abwesenheit von Ideologie und Politik machte das Wagnersche Werk in der Situation zu Anfang der fünfziger Jahre wieder konsumierbar.“ (Leichte) Konsumierbarkeit ist kein Merkmal von Musiktheater des Regietheaters.


    Das Regietheater versucht später geradezu in Abkehr von Wieland, etwa dem Parsifal das Weihevolle, Mystische zu nehmen. Es verabschiedet sich „von jeder sakralen Assoziation“ (a.a.O., S. 146). Wieland wird entmystifiziert. Gegen die Bilderlosigkeit seiner Inszenierungen sprach Günther Rühe 1972 von der „Erfindung der Bildersprache“ (a.a.O., S. 304) in der Theaterwelt , „die auch die Entwicklung einer „szenischen Körpersprache“, die der Darsteller dem Text entgegensetzte“ (a.a.O., 305), einbeziehe. Das übertrug sich ebenso auf die Oper. Damit einher geht nun vieles, was man mit dem Regietheater verbindet, vor allem mit der „Entfremdung des Vertrauten […] Das Natürliche wird mit Bedeutung, mit Interpretation überdeckt.“ (Rühle, zitiert bei Waldschmidt, 305), was natürlich im Einzelnen gänzlich verschiedene Formen, Ansätze und Konkretionen annehmen kann, insgesamt aber ein Charakteristikum des Regietheaters ist.


    Waldschmidt spricht in Bezug auf das Regietheater und entsprechende Parsifal – Inszenierungen - darstellend nicht wertend - davon, dass „ein gerüttelt Maß an Respektlosigkeit dem Komponisten und Textdichter, seinem Werk und - nicht zuletzt - seinem Publikum gegenüber“ (S. 308) festzustellen sei. Respektlosigkeit gegenüber Musik und Text - bei Wieland undenkbar!


    Waldschmidt zitiert resümierend nochmals G. Rühle, wenn er als Maxime für Regietheater formuliert: „Interpretation ist aber nun nicht mehr verstanden als Nachzeichnen, als Intonieren, Einfühlen, Ausarbeiten des Vorgefundenen.“ (S. 308). Auch das gilt für Wieland nicht.


    Waldschmidt differenziert unter anderem zwischen Inszenierungen des Regietheaters, die „soziale und politische Probleme unserer Zeit an das Werk herantragen, um von ihm Antworten auf heutige Fragen zu erhalten“ (S. 309) und einer solchen Inszenierung, von der man sagen kann, sie “kritisiert das Werk offen als Abbild der ideologischen Verbindungen der Entstehungszeit oder als zweifelhaftes Produkt eines ich-besessenen Künstlers“ S. (309).


    All das trifft auf Wieland nicht zu. Die ideologiekritische, politische Sicht richtete sich bei ihm gegen eine inszenierungsgeschichtliche Epoche deutscher Vergangenheit, aber nicht gegen das Werk selbst.


    Aus all dem lässt sich konkludieren: Was Wieland Wagner und das Regietheater eint, sind oberflächlich ähnliche konkrete Maßnahmen bezüglich der Regieanweisungen Wagners. Vor diesem Hintergrund ist der Schluss verständlich, Wieland sei (vielleicht der erste) Vertreter des Regietheaters in Sachen Wagner gewesen. Der genauere Befund zeigt allerdings auf, dass sowohl die Sicht der Werke Wagners wie das Ziel der Inszenierungsarbeit bei Wieland und „dem“ Regietheater sich ausschließen. Diese These krankt zwar daran, dass „das“ Regietheater nicht existiert und man diese Aussage an jeder einzelnen Regietheater – Arbeit festmachen müsste. Dennoch wird es schwer sein, ihr in der Grundtendenz überzeugend zu widersprechen.


    Das schmälert weder die Leistung der Regiethater – Regisseure, noch steigert es den Ruhm Wieland Wagners, auch nicht umgekehrt. Aber es sollte damit deutlich sein, dass sich Freunde des Regietheaters nicht berechtigterweise auf Wieland Wagner als einen Kronzeugen berufen dürfen.

    ---

    Umfasste das griechische Kunstwerk den Geist einer schönen Nation, so soll das Kunstwerk der Zukunft den Geist der freien Menschheit über alle Schranken der Nationalitäten hinaus umfassen; das nationale Wesen in ihm darf nur ein Schmuck, ein Reiz individueller Mannigfaltigkeit, nicht eine hemmende Schranke sein.
    (R. Wagner, Kunst und Revolution,1849)

  • Als Abschluss meiner Beitragsreihe zum Regietheater, mit der ich sachliche und lebendige Gespräche anregen und dazu unterschiedliche Sachapekte thematisieren möchte, führe ich hier noch ein Zitat von Walter Felsenstein zum Regietheater auf:


    „In unserer Epoche der Vorherrschaft des Regisseurs ist es üblich geworden, der Werkauffassung und Gestaltung des Regisseurs ein Interesse  zu schenken, dass nicht immer identisch mit dem Interesse an der Erfüllung des

    Werkes ist.

    Jede Gestaltung ist abzulehnen, welche in erster Linie die Absicht verfolgt, eine interessante Aufführung zustande zu bringen, ohne die Intentionen des Komponisten und des Autors genauestens zu erkunden und ihnen

    nahe zu kommen.

    Ein Regisseur, der glaubt, ein wertvolles Werk bearbeiten oder modernisieren zu müssen, möge sich ein neues Werk herstellen lassen und nicht das vorhandene für seine Zwecke missbrauchen.“

    (Walter Felsenstein, aus: Antworten auf Fragen zum Musiktheater, 1951)


    Hier ist dem Regisseur hohe Aufgabe und deutliche Grenze zugleich gesetzt.

    ---

    Umfasste das griechische Kunstwerk den Geist einer schönen Nation, so soll das Kunstwerk der Zukunft den Geist der freien Menschheit über alle Schranken der Nationalitäten hinaus umfassen; das nationale Wesen in ihm darf nur ein Schmuck, ein Reiz individueller Mannigfaltigkeit, nicht eine hemmende Schranke sein.
    (R. Wagner, Kunst und Revolution,1849)

  • Wenn Regisseur und Dirigent zu unterschiedliche Vorstellung von einer Realisierung pflegen, wird schwerlich etwas Gutes herauskommen. Es kommt nicht häufig vor, aber es passiert doch ab und zu, daß eine Zusammenarbeit schon vor der Premiere in Brüche geht, weil sich die divergierenden Ansichten nicht vereinen lassen. Daß die Kooperation nicht öfter platzt, liegt natürlich an finanziellen und rechtlichen Aspekten, die man immer bedenken muß, weil die Konsequenzen teurer kommen könnten als ein Durchfall. Ich erinnere mich an eine Operette der Wiener Volksoper (ich glaube, es war die "Zirkusprinzesssin"), bei der über viele Monate endlos geprobt wurde und jeder jeden nur kritisierte, die Sänger inklusive (die weibliche Hauptrolle verkörperte damals ein Familienmitglied von mir, die kontinuierlich verbale Säurebäder über den - renommierten - Regisseur und ihren männlichen Partner ausgoß). Schließlich brachte man die Aufführung doch zustande, aber sie war - no na net - kein Erfolg und die Inszenierung verschwand bald in der Versenkung. Meist aber schließt man Kompromisse. Deren gibt es bekanntlich gute, weniger gute und schlechte.


    Ist ein Werk - wie bei uns nach 70 Jahren - frei zur Bearbeitung, dann hat selbstverständlich jeder das prinzipielle Recht, seine Auffassung dieser Kreation durchzusetzen. Ob man das auch immer soll, hängt von der Endqualität und gewissermaßen auch vom Erfolg ab. Rolando Villazons Baden-Badener Inszenierung vom "Elisir d'amore" im Milieu eines frühen Wildwest-Filmstudios hat mich überzeugt, weil Kern und Intention des ursprünglichen Werks meines Erachtens beibehalten und kongenial übertragen wurden. Villazons "Traviata" im Zirkusmilieu ging dagegen nach meiner persönlichen Auffassung total in die Hose, weil hier weder Musik noch Libretto mit dieser Neufassung harmonierten.

    Über die Akzeptanz entscheidet also letztlich die Qualität des Ergebnisses. Da Qualität aber aus der subjektiven Empfindung der Konsumenten beurteilt wird und die Übergänge zudem verschwommen und fließend sind, kommt man mit Definitionen schwerlich auf einen gemeinsamen Nenner. Es würde der Diskussion aber viel an Schärfe nehmen, wenn die "Regietheater"-Regisseure (bitte jetzt keine exakte Erläuterung dieses Nebelbegriffs erwarten - ich hoffe, Ihr wißt, was gemeint ist) nicht so sehr daran festhalten würden, sich mit den großen Namen der ursprünglichen Autoren/Komponisten etc. zu schmücken. Wenn man die Akte der "Fledermaus" in der Reihenfolge bunt durcheinander würfelt, dann ist meiner Meinung nach die ""Fledermaus" von Johann Strauss etc. nur Rohmaterial, aber nicht das, was ich erwarte, wenn ich eine Aufführung gehe, die traditionell angekündigt wurde. Klar, auch hier sind die Grenzen alles andere als klar definierbar. Aber zu oft versteckt sich - nach meinem Dafürhalten - hinter der Behauptung, eine oder die wahre Deutung/Auslotung eines Werks erreicht zu haben nur simple Eitelkeit und der Hang zur Selbstprofilierung (nicht selten mit einem Seitenblick auf allfällige Tantiemen). Nicht immer muß dahinter eine Business-PR-Mentalität lauern. Man kann ja mit einer Idee auch einfach scheitern, selbst wenn man es ehrlich meint. Häufig wird Kritik in solchen Fällen aber als banausenhaftes Unverständnis abgetan. Manchmal sicher berechtigt, aber keineswegs immer. Letztlich sollte man sich darüber einig sein, daß zum Paradies eben verschiedene Wege führen. Ebenso aber in die Hölle.


    In der Regel ist bei der Oper Musik der wichtigste Faktor. Aber Oper ist auch Gesamtkunstwerk. Gerade bei Richard Wagner ist klar, daß es auf die Einheit der Kunstgattungen (und auch der Einheit mit dem Rahmen) ankommt. Mit Reduktionen , wie auf CD oder auf einer kleinen Bühne, kann man auch gut leben, aber muß sich bewußt bleiben, daß das eben nicht das Ganze ist.

  • Zu dem Text von Karl-Heinz Reuband:

    Er ist nicht neutral, und damit unwissenschaftlich. Tpyisch übrigens für Soziologen. Ich selbst bin Naturwissenschaftler, mir fällt sowas sofort auf.


    Der Grundfehler in dem Text ist, dass die Oper als eine Art Dienstleistung am Publikum angesehen wird. Das ist sie aber nicht. Sie ist Kunst, und damit unterliegt sie dem Willen des Künstlers, nicht dem des Publikums. Das Publikum kann nur hingehen oder wegbleiben.


    Und dann ist da noch ein Logikfehler: Wenn es dem Publikum hauptsächlich um Musik geht, warum braucht man dann ein Opernhaus? Mach einfach mal einen Versuch: Opernhaus schließen, Umzug ins Konzerthaus. Spart viel Geld. Und die musikalische Qualität wird höher sein. Ich sage dir: Das Publikum wird wegbleiben.

  • Hier noch mal der zentrale Punkt:

    "Sie [die Oper] ist Kunst, und damit unterliegt sie dem Willen des Künstlers, nicht dem des Publikums."


    Das will irgendwie keiner verstehen. Man muss es aber verstehen. Weil man erst dann etwas ändern kann, wenn man denn unbedingt will.


    Das heißt: Wenn ich einen bestimmten Stil festlegen will, darf ich keine Künstler einstellen, sondern Handwerker, die das ausführen, was ich ihnen auftrage.


    Das geht auch bei der Oper. Man muss es nur versuchen. Es gibt reichlich pensionierte Sänger, die auf das "Regietheater" schimpfen. Da ist sicher der eine oder andere dabei, der handwerklich korrekt eine Oper inszenieren kann. Man braucht also nur einen Intendanten, der bereit ist, auf dieser Schiene zu fahren. Ich bezweifle zwar, dass man damit langfristig das Haus voll bekommt. Aber es spricht absolut nichts dagegen, so etwas mal irgendwo zu versuchen...

  • Wenn Regisseur und Dirigent zu unterschiedliche Vorstellung von einer Realisierung pflegen, wird schwerlich etwas Gutes herauskommen. Es kommt nicht häufig vor, aber es passiert doch ab und zu, daß eine Zusammenarbeit schon vor der Premiere in Brüche geht, weil sich die divergierenden Ansichten nicht vereinen lassen.

    Einmal habe ich das erlebt. Den Namen des Dirigenten weiß ich zwar nicht mehr, aber er wollte den "Fliegenden Holländer" an der BSO von Peter Konwitschny nicht dirigieren. Über die Gründe gab es Gerüchte, eines lautete, daß er das Werk nicht ohne den sogenannten Erlösungsschluß dirigieren wollte.

    "Es gibt kein richtiges Leben im falschen." (Theodor W. Adorno)

  • Für mich persönlich ist in einer Opernaufführung die Musik wichtiger als die Regie.

    Für mich auch. Ausnahme die Werke Richard Wagners. Wenn man das "Gesamtkunstwerk" ernst nimmt, dann sollte schon beides überzeugen.

    "Es gibt kein richtiges Leben im falschen." (Theodor W. Adorno)

  • Zitat

    6) "Die Antworten zeigen (Tab. 2), dass in Düsseldorf wie in Köln eine relative bzw. sogar absolute Mehrheit eine Aufführung in der Zeit der Handlung vorzieht.


    Zu dieser Mehrheit gehöre ich nicht.

    Ich schon. Ich bin dezidiert der Meinung, daß eine Handlung, die in einer historischen Zeit spielt und in der historische Personen vorkommen, niemals annähernd überzeugend in eine andere Zeit versetzt werden kann, da sich die Gegebenheiten, ob politischer oder gesellschaftlicher Art niemals decken.

    Beispiel: "La Traviata". Würde sich heute ein junger Mann von den kruden Ansichten seines Vaters beeinflussen lassen? Wohl kaum. Das wäre höchstens möglich, wenn es eine muslimische Familie beträfe. Aber dann würde alles andere nicht passen, das gesellschaftliche Umfeld usw.

    Wo das funktioniert, ist der "Ring". Bei diesen allgemein gültigen Themen kann ein Regisseur Ort und Zeit der Handlung frei wählen.


    Bei Wieland Wagner sehe ich kein RT im Sinne von Eccliticos Begriff "Umdeutung". Er hat die Bühne "verschlankt", was ihm sehr zu danken ist. Viele haben das dann nachgemacht, z.B. Günther Schneider-Siemssen mit seinen Bühnenbildern.

    "Werktreu" heißt übrigens nicht gleich "historisierend" und eins zu eins eine Abbildung historischer Schauplätze, sondern den Ideengehalt des Werkes herausstellen.

    So ist es. Wobei mir der Begriff "werktreu" nicht so gefällt, besser trifft zu dem, was ich meine, "werkgerecht".

    Als gebildeter Mensch ist man aufgrund seines Bildungshorizontes und seines Wissens eher fähig, Regietheater - Kapriolen zu verstehen und vielleicht auch bereit und daran gewöhnt, überhaupt über manche Verrenkungen des Regietheaters nachzudenken.

    Ja, das versucht man. Und dann wird man immer und immer wieder vom weiteren Geschehen abgelenkt, weil man in Gedanken noch irgendeiner gerade gesehenen Blödigkeit nachhängt.

    Mir geht es inzwischen so: Wenn sich gleich zu Beginn herausstellt, daß der Regisseur an wesentlichen Inhalten des Werkes gescheitert ist, konzentriere ich mich im weiteren Verlauf auf die Musik und lasse das Grübeln über die abstrusen Gehirnwindungen eines Regisseurs sein. Schade um die Anstrengung. Und so, wie ich das sehe, ist auch das Bildung, zu erkennen, was es wert ist, sich näher damit zu beschäftigen, und was nicht.

    "Es gibt kein richtiges Leben im falschen." (Theodor W. Adorno)

  • Sie ist Kunst, und damit unterliegt sie dem Willen des Künstlers, nicht dem des Publikums. D

    Richtig! Die Frage ist nur, um wessen Kunst es primär geht, also z.B. um die Kunst des Komponisten oder um die Kunst des Regisseurs. Sofern dieser seine Kunst (mag sie noch so geistvoll und überzeugend sein) im Rahmen einer Inszenierung des Werkes eines Komponisten über die Kunst desselben stellt, und ihr damit nicht dient, sondern sie als Vehikel für eigene Ansätze, Aussagen, Ideen etc. benutzt, missbraucht er gewissermaßen das Werk, macht sich selbst zum schaffenden Künstler, wenngleich er als Spielleiter nur (wobei dieses "nur" nicht wenig ist, sondern eine besonders verantwortungs- und ehrenvolle Aufgabe) das Werk so auf die Bühne bringen soll, dass es zum Publikum spricht. Dass diese Aufgabe vielen Regisseuren nicht mehr zu genügen scheint, ist eine seltsame Blüte der künstlerischen Freiheit, welche Intendanten in die Schranken weisen sollten. Es ist doch interessant, dass sich kein Dirigent niedrig dünkt, wenn er "Fidelio" oder "Parsifal" dirigieren soll. Er empfindet es als eine große Aufgaben, oft voller Dank und versucht, das Werk so gut es geht musikalisch zu realisieren. Das ist ihm eine so hohe Aufgabe, dass er nicht auf die Idee kommt, den Partitur - Text wesentlich zu verändern, um seine, dem Werk fremde Ideen dem Werk überzustülpen. Dem Werk dienen, heißt dann nicht, dass sie nicht eigene Ideen von der Realisierung des Notentextes haben. Aber sie haben eben Ideen, wie man den Notentext am besten rüberbringt, manchmal sogar mit Änderungen der Instrumentation. Aber manch ein Regisseur meint, das Werk ganz umschreiben zu dürfen, es umzugestalten, es auf den Kopf stellen zu dürfen. Das ist etwas anderes. Es hat sich da eine erstauliche Nische künstlerischer Menschen entwickelt, die sich selbst höherschätzen als das Werk dessen, das sie auf die Bühne bringen sollen. Das ist in der Regel Hybris. Und sollte ein Regisseur meinen, er habe wichtige eigene Ideen, die er dem Publikum nahebringen will, so soll er das bitteschön in einem eigenen Werk machen, so wie manche Dirigenten auch komponieren, aber eben nicht in die Werke alter Meister ihre eigenen Kompositionen einfach hineinverpflanzen.

    ---

    Umfasste das griechische Kunstwerk den Geist einer schönen Nation, so soll das Kunstwerk der Zukunft den Geist der freien Menschheit über alle Schranken der Nationalitäten hinaus umfassen; das nationale Wesen in ihm darf nur ein Schmuck, ein Reiz individueller Mannigfaltigkeit, nicht eine hemmende Schranke sein.
    (R. Wagner, Kunst und Revolution,1849)

  • Ich bin dezidiert der Meinung, daß eine Handlung, die in einer historischen Zeit spielt und in der historische Personen vorkommen, niemals annähernd überzeugend in eine andere Zeit versetzt werden kann, da sich die Gegebenheiten, ob politischer oder gesellschaftlicher Art niemals decken.

    In vielen Fällen trifft das zu, aber nicht in allen. Menschliche Grundkonflikte lassen sich oft auch in andere Zeiten, Kulturen etc. übertragen. Nur muss man das eben vorher prüfen, ob das auch wirklich geht. Selbstverständlich ist es nicht.

    ---

    Umfasste das griechische Kunstwerk den Geist einer schönen Nation, so soll das Kunstwerk der Zukunft den Geist der freien Menschheit über alle Schranken der Nationalitäten hinaus umfassen; das nationale Wesen in ihm darf nur ein Schmuck, ein Reiz individueller Mannigfaltigkeit, nicht eine hemmende Schranke sein.
    (R. Wagner, Kunst und Revolution,1849)

  • Und so, wie ich das sehe, ist auch das Bildung, zu erkennen, was es wert ist, sich näher damit zu beschäftigen, und was nicht.

    Sie haben recht. Allerdings kann man sich dessen ja nicht immer ganz sicher sein, bevor man darüber nachgedacht hat. Manchmal allerdings hilft die Intuition und die Erfahrung.
    Ein guter und wirksamer Regiegedanke ist einer, der sich schon in der Realisierung gleich beim Sehen erschließt, ohne dass man erst Stunden darüber nachdenken muss: eine besondere Bewegung, eine Haltung, eine Interaktion, die auf etwas hindeuten, was man bisher noch nicht so interpretiert gesehen hat. So etwas gibt es ja in den vielschichtigen Werken, die man "Klassiker" nennt. Mit denen ist man nie fertig. Sie bieten genug Raum und Freiraum der Interpretation, ohne dass man ihnen selbstverliebt etwas eigenes meint aufpfropfen zu müssen.

    ---

    Umfasste das griechische Kunstwerk den Geist einer schönen Nation, so soll das Kunstwerk der Zukunft den Geist der freien Menschheit über alle Schranken der Nationalitäten hinaus umfassen; das nationale Wesen in ihm darf nur ein Schmuck, ein Reiz individueller Mannigfaltigkeit, nicht eine hemmende Schranke sein.
    (R. Wagner, Kunst und Revolution,1849)

  • Menschliche Grundkonflikte lassen sich oft auch in andere Zeiten, Kulturen etc. übertragen.

    Das schon. Aber nicht der Umgang damit.


    Im übrigen bin ich mit allem, was Sie in # 12 schreiben, absolut d'accord! Es würde mir nicht gelingen, das alles besser auszudrücken ;)

    "Sie [die Oper] ist Kunst, und damit unterliegt sie dem Willen des Künstlers, nicht dem des Publikums."

    Es kann dann allerdings passieren, daß diese (zahlende!) Publikum mit den Füßen abstimmt und ggfs. einfach wegbleibt.

    "Es gibt kein richtiges Leben im falschen." (Theodor W. Adorno)

  • Allerdings kann man sich dessen ja nicht immer ganz sicher sein, bevor man darüber nachgedacht hat.

    Das tue ich ja:


    Wenn sich gleich zu Beginn herausstellt, daß der Regisseur an wesentlichen Inhalten des Werkes gescheitert ist, konzentriere ich mich im weiteren Verlauf auf die Musik....

    "Es gibt kein richtiges Leben im falschen." (Theodor W. Adorno)

  • Danke, ja! Ich selbst zögere oft noch (zu) lange, bis ich das Urteil fälle: "gescheitert"! Ich hoffe oft noch, dass sich doch noch etwas Interessantes findet, auf das ich nur nicht gleich komme. Manchmal mit Erfolg, oft aber auch vergebens.

    Allerdings weiß ich dann auch manchmal nicht, ob das, was ich mir denke, dass der Regisseur es sich gedacht haben könnte, sich dieser wirklich gedacht hat, oder nicht. Falls nicht, so ginge ich ihm auf den Leim. Beispiel ist die Realisierung des "Grane" in Bayreuth im neuen "Ring". Da habe ich viel Gehirnschmalz verbraucht, um mir eine Deutung zurechtzulegen - berechtigt oder nicht? Wer weiß?

    ---

    Umfasste das griechische Kunstwerk den Geist einer schönen Nation, so soll das Kunstwerk der Zukunft den Geist der freien Menschheit über alle Schranken der Nationalitäten hinaus umfassen; das nationale Wesen in ihm darf nur ein Schmuck, ein Reiz individueller Mannigfaltigkeit, nicht eine hemmende Schranke sein.
    (R. Wagner, Kunst und Revolution,1849)

  • Da habe ich viel Gehirnschmalz verbraucht, um mir eine Deutung zurechtzulegen - berechtigt oder nicht? Wer weiß?

    Da habe ich auch eine Weile daran herumgedoktert. Ohne Erfolg. Vielleicht bin ich aber auch zu phantasielos....

    Ich bin vom Sternbild Jungfrau, und die ist ziemlich geerdet.....


    Aus dem Internet:


    "Was ist typisch für Sternzeichen Jungfrau?


    Stärken der Jungfrauen


    Ihr unstillbarer Wissensdurst und ihr meist hoher Intellekt sind prägend für dieses Sternzeichen. Des Weiteren gehen sie Probleme praktisch, logisch und mit einem ausgeprägten Sinn für Details an. Dadurch sind ihre Lösungsansätze oft sehr geradlinig und pragmatisch.


    Schwächen einer Jungfrau


    Oft wird ihr Hang zum Perfektionismus von ihrem Umfeld als kleinlich empfunden. Auch mal "die Fünf gerade sein" lassen, kommt für Jungfrauen nämlich nicht in Frage – und wird anderen auch schlecht verziehen."


    :D

    "Es gibt kein richtiges Leben im falschen." (Theodor W. Adorno)

  • Stärken der Jungfrauen

    "Jungfrau, Dein schön Gestalt erfreut mich sehr, je länger je mehr."

    https://www.youtube.com/watch?v=ikiIUiJOtlo :P

    ---

    Umfasste das griechische Kunstwerk den Geist einer schönen Nation, so soll das Kunstwerk der Zukunft den Geist der freien Menschheit über alle Schranken der Nationalitäten hinaus umfassen; das nationale Wesen in ihm darf nur ein Schmuck, ein Reiz individueller Mannigfaltigkeit, nicht eine hemmende Schranke sein.
    (R. Wagner, Kunst und Revolution,1849)

  • Es kann dann allerdings passieren, daß diese (zahlende!) Publikum mit den Füßen abstimmt und ggfs. einfach wegbleibt.

    Genau. Das Publikum darf (soll!) kritisieren. Es darf nur nicht vorschreiben.


    Kunst hat mehrere Aspekte. Da ist zum einen der autonome, schöpferische(!) Wille des Künstlers. Zum anderen benötigt Kunst immer(!) ein Publikum. Kunst will/muss eine Wirkung erzielen, und das geht nun mal nur mit einem Publikum. Insofern ist Desinteresse seitens des Publikums für einen Künstler die Höchststrafe.


    Übrigens verstehe ich dein Anliegen bzgl. "historischer" Inszenierungen durchaus. Du kannst aber getrost davon ausgehen, dass das Publikum mehrheitlich mit so etwas überfordert ist. Dazu müsste es sich nämlich nicht nur mit dem Openstoff selbst, sondern auch noch mit der Geschichtsepoche, in der er spielt, beschäftigen. Das kannst du vergessen.


    Übrigens wussten das auch die damaligen Komponisten bzw. Librettisten. Der Stoff wurde so aufbereitet, dass er vom damaligen(!) Publikum verstanden wurde. Woraus folgt, dass er vom heutigen Publikum nicht mehr so verstanden werden kann. Außer eben von Leuten, die sich mit der Geschichte befassen. Aber selbst die machen sich in der Regel etwas vor. Auch du.


    Nehmen wir den Freischütz. Die Leute dachten und fühlten damals "romantisch". Insbesondere hatten sie ein ganz anderes Naturverständnis als wir heute. Daher wirkt die Oper auf uns heute ganz anders als auf die Leute damals. Wir können nicht so denken und fühlen wie die Leute damals. Ist völlig unmöglich. Egal wie viele Bücher wir lesen. Wir leben in einer anderen Welt, sind anders sozialisiert. Wenn du den Freischütz also heute so aufführst wie damals, ist das eine krasse Missachtung des Willens von Weber. Du erzielst Effekte, an die der Komponist niemals dachte. Du könntest jetzt als Regisseur versuchen, ähnliche Effekte zu erzielen. Aber wozu? Es würde schon reichen, wenn das Publikum in der Pause nicht gleich die neuesten WhatsApp-Nachrichten checken, sondern sich über den gerade gesehen Akt unterhalten würde. Das meine ich mit "Wirkung erzielen". Das Publikum vom Smartphone abhalten...

Jetzt mitmachen!

Wir freuen uns auf Dein Mitlesen bzw. Mitschreiben! Es besteht keine Pflicht, Beiträge zu verfassen – eine Registrierung lohnt sich auch für „Mitleser“, denn sie können sich bei neuen Postings zu bestimmten Themen automatisch benachrichtigen lassen.