Ecclitico schrieb gestern in einem anderen Thread unter anderem folgendes:
Apropos (wir müssen das ggf. in einem passenden Thread weiter diskutieren):
"Regietheater" ist bekanntlich ein umstrittener Begriff. Manche Leute behaupten, das gäbe es gar nicht, weil es sich nicht definieren lässt.
Darauf bezogen würde ich gerne meine persönliche Ansicht schreiben und somit zur Diskussion stellen, denn ich glaube, dass ein gewisser Diskussionsbedarf besteht:
- Das „Regietheater“ gibt es tatsächlich nicht, denn es ist ein unsinniger Begriff. Theateraufführungen kommen in der Regel nicht ohne Regie aus, also ist das Wort „Regietheater“ ähnlich sinnlos gebildet wie „Musiziermusik“ oder „Federpennal“. (hoppla, letzteren Begriff gibt es ja wirklich!)
- Mit „Regietheater“ ist in der Regel „Verunstaltungstheater“ gemeint (dieser Begriff stammt nicht von mir), vorgeworfen wird den Regisseuren, die klassischen Werke der alten Meister zu verunstalten bzw. zu zerstören. Ich sage dagegen: Es gibt kein „Werk“, das ein Regisseur „zerstören“ kann. Wenn der Regisseur X in der Stadt x eine bestimmte Oper „zerstört“, ist diese Oper in gar keiner Weise zerstört, denn der Regisseur Y kann in der Stadt y dieselbe Oper ganz anders inszenieren, die Oper ist somit keinesfalls zerstört. Anders ist es beim Übermalen etc. von bildender Kunst.
- Eine Opernaufführung ist ja kein historisches Ereignis, sondern eine zeitgenössische Aufführung, die überdies einmalig und unwiederholbar ist. Daher ergibt sich für mich, dass die Regieanweisungen des Librettos nicht beachtet werden müssen, sondern der Regisseur soll eine ihm überzeugend scheinende Inszenierung schaffen. Ob sie mich und andere überzeugt, muss man im Einzelfall entscheiden.
- Soweit ich informiert bin, ist die Ansicht, eine Oper solle historisch inszeniert und als historisches Theaterereignis begriffen werden, eine Ansicht des späten 19. Jahrhunderts, davor wurden Opern meinem Wissensstand nach als zeitgenössische Aufführungen betrachtet, mit zeitgenössischen Kostümen (so wie in Werken bildender Kunst die Jünger Jesu zeitgenössische Kostüme tragen und nicht solche, die um das Jahr 0 üblich waren). Ebenso kommt die Vorstellung des Autors ja erst im 19. Jahrhundert auf, davor gab es kein Urheberrecht.
- Meiner Beobachtung geht es bei der Kritik am „Regietheater“ nicht um wirkliche „Werktreue“, sondern um das Festhalten an liebgewonnen Traditionen bzw. an liebgewonnener Aufführungspraxis. Außerdem wird oft die Regie kritisiert, wenn man das Bühnenbild oder die Kostüme kritisieren will (natürlich gehört das alles irgendwie zusammen).
- Für mich persönlich ist in einer Opernaufführung die Musik wichtiger als die Regie. Aber ich sehe keine Notwendigkeit dafür, die musikalische Darbietung für wichtiger zu halten als die szenische.