Lieber Ira, ich fûhle mich überhaupt nicht belehrt, mach Dir keine Sorgen! Mein südamerikanischer Musiker-Schwager heisst Roberto und ich habe offensichtlich an ihn gedacht und diese beiden Südamerikaner, die obendrein ein ähnliches Temperament haben verwechselt..... verdrehte Hirnwendungen... kann vorkommen

Opernberichte der Saison 2023/24
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Sa., 4. November 2023: WIEN (Staatsoper): Wolfgang Amadé Mozart, Die Hochzeit des Figaro / Le nozze di Figaro
Eine überdurchschnittlich gute Repertoirevorstellung war der heutige „Figaro“, wobei die beste Leistung ganz eindeutig von Golda Schultz in der Rolle der Gräfin kam: Ihre tragfähige Stimme ist wunderbar, und sie gestaltete die beiden Arien (und natürlich alles andere auch) sehr berührend, und zwar fernab jeder Manieriertheit: Dass sich nach „Porgi, amor“ keine Hand zum Applaus regte (obwohl Fischer eine kleine Pause einlegte), kann unter Umständen auch so ausgelegt werden, dass die Zuschauer von der Darbietung Schultzes zu ergriffen waren, um loszuapplaudieren. Ebenfalls sehr gut gefiel mir Patricia Nolz als Cherubino, wobei man allerdings bemerken könnte, dass ihre Stimme in der Höhe das schöne Mezzo-Timbre verliert und eher mehr nach einem Sopran klingt, wobei das natürlich ein verzeihlicher Mangel ist. Peter Kellner ist als Figaro das, was man eine „gute Hausbesetzung“ nennt: Alles war in Ordnung (abgesehen davon, dass er leichte Höhenprobleme hatte und im vierten Akt ab „Aprite un po’ quegli occhi“ seine Kräfte hörbar schwanden, er sich aber mit guter Technik zum Ende der Aufführung rettete), aber der Stimme fehlt irgendwie das „gewisse Etwas“, wenn man das so sagen kann. Dennoch ist er eine gute Besetzung und ein wertvolles Ensemblemitglied (seine Verzierungen in „Non più andrai“ waren allerdings verzichtbar).
Das, was ich im Mai 2022 zu Michael Nagy in der Rolle des Grafen schrieb, besitzt auch heute Gültigkeit, es war: „Michael Nagy sang den Graf mit zwar nicht unschöner, aber dennoch uninteressanter Stimme, die keinerlei stimmliche Schattierungen aufwies: Wie man „Hai gia vinta la causa… Vedro mentr‘io sospiro“ mit hervorragender Stimme qualitätsvoll gestalten kann, kann man sich auf Youtube beispielsweise von Markus Eiche anhören (diesen großartigen Bariton vermisse ich derzeit in Wien schmerzlich!), bei Nagy war lediglich einfallslose Einheits-Empörung zu merken, denn Farben hat seine Stimme keine.“ Mittelmäßig fand ich die Hausdebütantin Katharina Konradi in der Rolle der Susanna, denn ihre Stimme ist für das Haus ein bisschen zu klein und klingt leicht spröde bzw. hat zwischen Mittellage und Tiefe einen Registerbruch, allerdings versöhnte sie mich mit einer wirklich schön gesungenen „Rosenarie“ weitgehend.
Unterschiedlich zogen sich die Nebenrollendarsteller aus der Affäre: Stefan Cerny und Norbert Ernst waren für Bartolo und Basilio wahre Luxusbesetzungen, und Andrea Giovannini hat im Curzio eine Rolle gefunden, in der er nicht nur nicht stört, sondern die er auch recht gut macht. Solide war Stephanie Houtzeel (Marcellina), dafür klangen Attila Mokus (Antonio) und insbesondere Miriam Kutrowatz (Barbarina) schwach. Dass die Vorstellung trotz der genannten Mängel ein musikalisches Vergnügen wurde, ist zu einem großen Teil Verdienst des Mannes im Pult: Ádám Fischer ist ein hervorragender Dirigent, und ich bedaure, dass er, der früher in Wien sehr oft ans Dirigentenpult trat, inzwischen nur mehr so selten geholt wird. Fischer ließ die Ouvertüre, wie es seine Art ist, zügig beginnen, nahm sich aber für die besonnenen Passagen (etwa die beiden wunderschönen Arien der Gräfin) ausreichend Zeit; er begleitete die Sänger sehr rücksichtsvoll und behielt auch die Ensembles gut in Griff. Das Orchester zeigte sich in sehr guter Form.
Man kann darüber debattieren, wie sinnvoll es war, zwar die missglückte Inszenierung Jean-Louis Martinotys erfreulicherweise abzusetzen (2011–2019) und die ausgezeichnete Vorgängerproduktion Jean-Pierre Ponnelles aus dem Jahre 1977 wieder aus dem Fundus zu holen, diese mustergültige Produktion aber nur kurze Zeit zu zeigen, um erneut mit einer neuen Produktion anzurücken (ich hätte den Ponnelle gerne behalten und lieber eines der anderen Stücke, die schon längst an die Staatsoper gehören, herausgebracht, aber bitte) – doch muss ich bekennen, dass diese neue Inszenierung von Barrie Kosky (Bühne von Rufus Didwiszus, Kostüme von Victoria Behr) sehr gut gelungen ist. Die Produktion, die es heute schon auf die 12. Aufführung brachte, lebt von sehr guter Personenführung (nur dass der Graf in seiner Wut die Blumen durchs Zimmer kickt, müsste nicht sein, ist aber durchaus vertrebar) und gleichzeitig von einem reizvollen (und akustikfreundlichen) Bühnenbild, das ohne viele Requisiten auskommt, aber dennoch Stimmung erzeugt. Die Produktion ist im Grunde genommen „klassisch“ inszeniert, was jedoch als Vorteil zu sehen ist. Reizvoll ist der vierte Akt gestaltet, wo der Garten nur am Bühnenboden sichtbar ist und die zahlreichen Auf- und Abtritte so funktionieren, dass sich die Sänger durch Luken auf die Bühne bzw. von der Bühne bewegen: Als das Komplott aufgedeckt wird und der Graf draufkommt, dass quasi sein gesamter Hofstaat zugegen ist, hinterlässt es einige Wirkung, wenn plötzlich alle Luken geöffnet werden und aus jeder jemand herausschaut. Besonders ist anzumerken, dass Kosky eine gewisse musikalische Sensibilität zeigte, indem er sich die Freiheit nahm, an manchen Momenten auch gar nichts passieren zu lassen (etwa während der schlichten und gleichzeitig wunderschönen Arien der Gräfin), wohingegen an vielen Stellen, an denen es passt, viel schnelle Aktion stattfindet und wirklich lustiger (statt pseudo-lustiger) Humor eingeflossen ist. Zusammenfassend: Ich hätte zwar gerne die Ponnelle-Produktion zurück, aber die von Kosky ist auch sehr gut!
Abschließend ein ketzerischer Gedanke: Ist der Grund, wieso Ádám Fischer mittlerweile so selten in Wien dirigiert, eventuell darin zu suchen, dass seine Dirigierfähigkeiten diejenigen des aktuellen Musikdirektors deutlich übertreffen?
Und schließlich sei darauf hingewiesen, dass die Angabe „je eine Pause nach dem 1. und 2. Aufzug“ des Programmzettels glücklicherweise nicht stimmte (sonst hätte die Vorstellung, deren Ende mit 22:37 ohnehin spät war, noch viel länger gedauert), denn eine Pause gab es natürlich nur nach dem zweiten Akt.
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Danke für den ausgiebigen Bericht zum Figaro, den ich fast auswendig kann und daher Deine Kritik bestens verfolgen kann. Ihr habt in Wien wirklich das OpernParadies und könnt aus dem Vollen schöpfen! Golda Schulz habe ich bisher nur in den Medien gehört und kein Wunder , dass sie an eurer Staatsoper gelandet ist. Eine sehr schöne vielversprechende Stimme und wohl auch sympathische Persönlichkeit.
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Ihr könnt in Wien wirklich aus dem Vollen schöpfen! Wenn ich an meine letzte Mozart- Opern- Erfahrung denke, wird mir jetzt noch schlecht. Die reinste Trash Inszenierung mit Halloween Flair: am Ende vom Don Giovanni standen alle Protagonisten blutbeschmiert wie die Vanpire auf der Bühne und zuvor beim Banquet gab es ein Schlachtfest mit wabernden Fleisch- oder Leichenteilen als Dekor. Wäre Emmanuelle Haims musikalische Interpretation nicht so schwungvoll gewesen und die Stimmen von Enöke Barath und Eric Ferry weniger schön, wäre ich auch mit geschlossenen Augen sofort gegangen. Wer nicht das Glück hat, die schöne Stimme von Golda Schultz live zu hören, kann auf ARTE Concert ein Mozart - Récital von den Salzburger Festspielen mit ihr hören. Dort singt sie auch die Gräfin.
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Wer nicht das Glück hat, die schöne Stimme von Golda Schultz live zu hören,
Wir Münchner hatten das Glück, Golda Schultz' Werdegang schon von allem Anbeginn ihrer Karriere zu verfolgen. Sie begann als Schülerin des Münchner Opernstudios. Das Opernstudio gibt immer in den Festspielen ein Konzert und da habe ich Golda Schultz vor vielen Jahren mit einer noch kleinen Rolle das erste mal gehört. Und ich dachte mir sofort, da ist noch viel drin. Und so war es ja dann auch. Den Opernstudio-Konzerten blieb sie lange treu.
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Danke fürs Lesen und für Eure Entgegnungen! Golda Schultz habe ich erstmals letztes Jahr gehört (als Pamina: Link), und es ist sicherlich sehr schön, wenn man den Werdegang einer sehr guten Sängerin seit dem Opernstudio verfolgen kann! Laut Internet war sie übrigens eine Schülerin von Johan Botha (den ich enorm schätzte).
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So., 5. November 2023: OSTRAU/OSTRAVA (Antonín-Dvořák-Theater): Richard Wagner, Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg
Zu meiner Verwunderung entnehme ich dem Programmheft der Aufführung, dass auch ein kleines Theater wie das (erst seit 1990 so benannte) Antonín-Dvořák-Theater in Ostrau eine „Tannhäuser“-Tradition besitzt; dort gab es Produktionen dieser Oper in den Jahren 1924–1925, 1933–1934, 1943–1944 (diese Produktion im Národní dům, also dem heutigen Jiří-Myron-Theater) und 1972–1974. In diese Fußstapfen trat man im heurigen April, und das Ergebnis ist allerdings – freundlich ausgedrückt – sehr bescheiden, was sowohl die musikalischen Leistungen als auch die Inszenierung von Jiří Nekvasil (Bühne von Daniel Dvořák, Kostüme von Marta Roszkopfová) betrifft.
Zu dieser Inszenierung gibt es ohnehin nicht viel zu sagen: Die Verantwortlichen brachten eine reine Bebilderung der Handlung auf die Bühne, wobei dies in einer insbesondere in den Chorszenen amateurhaften Weise geschah (die Choristen schritten unmotiviert im Kreis oder vollführten nicht weiter Sinn ergebende Bewegungen aus). Dass während der Ouvertüre eine Büste Richard Wagners eingeblendet wird und auch im „Venusberg“ Wagners Büste mehrfach sichtbar ist, mag als intellektuelle Reflexion des Komponisten in seinem Werk gelten, in der Praxis schaut es aber so aus, als wäre dem Regisseur einfach nichts Besseres eingefallen, und die gesamte Produktion wirkt ziemlich beliebig zusammengesetzt. Einen kleinen Ansatz guter Personenführung konnte nur beim Wolfram orten, der im zweiten Akt sehnsuchtsvoll Elisabeth anblickt und sich dann frustriert abwendet (wobei ich ja der Ansicht bin, dass Wolfram von Wagner homosexuell konzipiert wurde und er nicht Elisabeth, sondern Tannhäuser begehrt). Völlig in den Sand gesetzt wurde auch der Schluss: Dass Venus aus dem Bühnenboden auftaucht, war ja eine gute Idee, aber wieso Tannhäuser jenes Tuch mit dem übergroßen Konterfei Elisabeths ganz am Ende umdreht, sodass ein Ausschnitt aus Botticellis „Geburt der Venus“ sichtbar wird, und er sich dieses, jetzt Venus zeigende Tuch dann umhängt, verstehe ich nicht. Wie auch immer: Dass man aus dieser Oper szenisch viel mehr herausholen könnte, ist unstrittig.
Ebenso unstrittig ist, dass die heutigen Sängerleistungen überwiegend gar nicht erfreulich waren, und ich kann nur einmal mehr dazu mahnen, nur solche Opern zu spielen, die man auch halbwegs besetzen kann. Damit ist allerdings nicht der Sänger der Titelrolle gemeint, denn der mir vorher unbekannte Hans-Georg Priese erbrachte eine durchaus achtbare Leistung. Freilich, aufmerksamen Zuhörern wie mir ist nicht entgangen, dass er sich vor allem im ersten und zweiten Akt (mit dankenswerter Unterstützung des Dirigenten) geschickt durch die höchst anspruchsvolle Partie schummelte, indem er manche Töne verkürzte oder deutlich tiefer ansetzte, doch zeichnete sich seine Darbietung durch ein „echtes“ heldentenoral klingendes Timbre (Priese begann, wie es sich gehört, als Bariton) und durch Wortdeutlichkeit aus. Ich kann mir gut vorstellen, dass er in einer nicht ganz so anspruchsvollen Partie besser reüssieren kann (denn der Tannhäuser ist halt im ersten und zweiten Akt wirklich massiv schwierig), denn sein Material ist gut, es haperte aber an einigen Stellen. Furchtbar – ich kann es nicht anders sagen – war hingegen über weite Strecken Maida Hundeling in der (hier so besetzten) Doppelrolle Venus/Elisabeth. Wer noch nicht gewusst hat, wie eine Opern-Kreischsäge klingt, bekam es heute sehr eindrucksvoll vorgeführt. Hundeling hatte genau eine gute Passage, und das war ein weitgehend innig und zurückhaltend gesungenes „Allmächt’ge Jungfrau, hör mein Flehen!“, aber alle anderen Passagen (ja wirklich: ALLE!) wurden in einer unzumutbaren Art und Weise geschrien, sodass mir oft die Ohren wehtaten und ich mir sie einmal sogar zuhalten musste (was während einer Opernaufführung noch nie der Fall war). Hundeling kann auf genau zwei Arten singen: entweder sehr leise, aber nicht wirklich tragfähig (die Stimme gewinnt dann an Vibrato bzw. wird leicht zittrig) oder in einem Einheitsfortissimo hinausgeschrien, was sich zum Davonlaufen anhört (vom Text ist dann natürlich auch gar nichts verständlich); und leider sang sie fast durchgehend im Einheitsfortissimo, was die Aufführung stark beeinträchtigte. Wie kommt man überhaupt auf die Idee, als verführerische Venus und als junge Elisabeth sich mit einer Brünnhilden-artigen Kreischsäge die Stimme aus dem Leib zu schreien und gleichzeitig auf die Stimme zu drücken, um dem eigentlich lyrischen Sopran einen „schweren“ Klang zu verleihen? Das passt überhaupt nicht zu diesen Rollen, und es liegt der Schluss nahe, dass Hundeling gar nicht mehr anders singen kann, was sehr schade ist. (Und nachdem ich diesen Text geschrieben hatte, habe ich zufällig gesehen, dass ich schon im März 2012 anlässlich des „Mantels“ an der Wiener Volksoper schrieb: „Maida Hundeling hätte wirklich gute Anlagen, aus denen sich etwas machen ließe. Und so stellt sich die Frage, weshalb sie nur auf Lautstärke bedacht war und forcierte, was auf Kosten des doch recht schönen Timbre ging.“ Die Ergebnisse dieser Art des Singens hört man jetzt anno 2023.)
Unter den anderen Rollen gefiel mir der mir aus Pressburg bekannte Jozef Benci als Hermann am besten, wobei auch bei ihm Abstriche zu machen sind: Seine Stimme ist mächtig (wobei in Anbetracht dieses so kleinen Hauses weniger mehr gewesen wäre) und hat ein gutes bassales Fundament, wobei allerdings Höhenprobleme nicht zu überhören waren, außerdem eine teils schlampige Behandlung der deutschen Sprache, womit gemeint ist, dass er manche Vokale regelmäßig verfärbte (ein „e“ wurde so oft zu einem „ö“), und überhaupt fand ich sehr unangenehm, wie er sich durch diese (eigentlich würdevolle) Rolle grölte. Gemische Eindrücke hinterließ auch Pavol Kubáň als Wolfram: Hatte ich im ersten und zweiten Akt das Gefühl, er würde überhaupt nicht verstehen, was er singt (er sang völlig bar jeden Ausdrucks und atmete oft an falschen Stellen), brachte er im dritten Akt einen halbwegs gefühlvollen „Abendstern“, wobei ich ihm dringend rate, den Text mit einem sprachlich sensiblen Deutschsprecher durchzugehen, denn „Hölle“ hörte sich bei ihm wie „Höhle“ an (generell hatte er seine liebe Not mit der Unterscheidung zwischen langen und kurzen Vokalen, etwa sang er das erste „e“ in „selger Engel“ kurz, aber „Hölle“ vs. „Höhle“ ist bedeutungsunterscheidend), und er sang manche Vokale, die im Deutschen abgedunkelt werden, ganz hell aus (wie etwa das „e“ in „schwärzlichem“ bei „in schwärzlichem Gewande“). Im ersten Akt ließ er übrigens die Verzierung bei „Du kühner Sänger“ aus, was mich störte, weil diese Verzierung nicht bloß eine Alternativversion ist, sondern in der Partitur als verpflichtend ausgewiesen ist (und so schwierig ist der Wolfram nicht, dass man sich ihn „zurechtlegen“ darf). Josef Moravec und Petr Urbánek (spröde Stimme, sehr textunverständlich) als Walther und Biterolf fielen kaum auf, dafür klang Karolína Levková in der kleinen Rolle des Hirten erfreulich.
Besondere Erwähnung verdient der Held des Abends, der im Orchestergraben stand: Adam Sedlický erweckte rein optisch keinen besonderen Dirigiereindruck (von meinem Galerieplatz war der Dirigent gut zu sehen), aber ein genaues Zuhören zeigte, wie sensibel er den Sänger der Titelrolle durch die Vorstellung trug: Immer, wenn Priese eine Phrase verkürzte, stieg Sedlický sofort darauf ein und dirigierte auf eine Art, die den Tenor möglichst unfallfrei durch die Vorstellung brachte, und das verdient Anerkennung. Orchester und Chor taten passabel ihre Pflicht: Das Orchester leistete sich zwar in der Ouvertüre mehrere (kleine) Patzer (und zwar die hohen Streicher, die Blechbläser und die Harfen) und produzierte natürlich keinen qualitätsvollen „Philharmoniker-Klang“, und die Chorsänger unterschieden sich beim „ü“ (manche sangen „ü“, manche „i“), aber insgesamt war deren Leistung solide. Das verzichtbare „Bacchanal“ wurde übrigens dankenswerterweise ausgespart, also kam entweder die Dresdner Fassung zum Einsatz oder eine Mischfassung (genauer kann ich es leider nicht sagen).
Erwähnung finden soll noch ein besonderes „Schmankerl“: Anstelle des üblichen „Läutens“ vor Beginn der Aufführung fanden sich im Pausenraum der Galerie vor dem ersten und vor dem dritten Akt drei Posaunisten und ein Tubist ein und vor dem zweiten Akt drei Trompeter, die jeweils dreimal kurze Sequenzen aus dem „Tannhäuser“ live spielten und somit das Publikum auf das nahende Ende der Pause aufmerksam machten.
Hat sich der Ausflug also für mich nicht gelohnt? Keineswegs! Erstens habe ich geahnt, worauf ich mich einlasse, zweitens hatte ich nach neun „Tannhäuser“-freien Jahren wieder das Bedürfnis, diese Oper live zu hören, drittens schadet es gar nicht, sich bisweilen einen Eindruck davon zu verschaffen, was man in den Opernhäusern außerhalb der Heimatstadt so treibt, viertens sind gemeinsame Opernausflüge generell immer lohnend, und fünftens hat mich der ganze Spaß alles zusammen (Hinfahrt, warmes Mittagessen, Opernkarte, Programmheft, Rückfahrt) ca. 49 Euro gekostet: Das mag viel klingen, aber in Anbetracht dessen, dass man derzeit einen höheren Betrag (nämlich nicht weniger als 50 Euronen) für die billigste (!!!) Kategorie des Theaters an der Wien zahlt (sofern man nicht gegen diese unverschämten Preise durch Wegbleiben protestiert), ist das sogar recht wohlfeil.
Nachtrag vom Abend des 7. Novembers: Ich weise nochmals darauf hin, dass ich den „Tannhäuser“ vor dem Sonntag erst sechsmal gehört habe (in der Dresdner Fassung) und zwar zuletzt 2014: Alle Beobachtungen, die Details der Partitur betreffen, sind daher mit sehr hoher Vorsicht zu genießen, und es kann sehr gut sein, dass ich mich zu weit aus dem Fenster gelehnt habe, indem ich meine Beobachtungen nicht mit den Noten verglichen habe, sondern meinte, die Oper ohnehin im Kopf zu haben. Anhand meiner in den Vorstellungspausen angefertigten Notizen bin ich die „Tannhäuser“-Noten nochmals durchgegangen und musste feststellen, dass ich dieses Stück schlechter als geglaubt im Ohr hatte. Ich gelobe Besserung, indem ich zukünftig bei einer auch nur kleinen Unsicherheit die Noten zu Rate ziehe bzw. explizit auf eine Unsicherheit hinweise. Mir ist wichtig, große Sorgfalt walten zu lassen.
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Sehr geehrte/r Sadko!
Ich freue mich außerordentlich, dass Sie sich aufgemacht haben, um in Ostrava "Tannhäuser" zu hören und zu sehen!
Ich kann Ihnen sehr gerne helfen: Es wird insofern eine Mischfassung gespielt, dass die Ouvertüre in der Dresdner Fassung gespielt wird und ab erstem Gesangseinsatz bis auf einen kleinen Strich bei der Venus und den häufig praktizierten Strich im Duett Elisabeth /Tannhäuser die ungestrichene Pariser Fassung zu hören ist. Dies betrifft für Tannhäuser sowohl einige kleine Veränderungen im Venusberg (Weglassen von Fermaten etc.) als auch den Sängerkrieg, in dem die Antwort auf Wolfram und die auf Walther bei entfallender Entgegnung Walthers zusammengefasst und teilweise einen Ton nach oben transponiert sind. So wie Sie es gestern gehört haben.
Ich wünsche Ihnen und uns Opernschaffenden, dass Sie so unermüdlich bleiben, uns auch unter den nicht immer perfekten Bedingungen mittlerer und kleinerer Häuser zu begleiten!
Mit herzlichen Grüßen
Hans-Georg Priese
P.S. Meine Replik bezieht sich teilweise auf eine frühere Fassung des Beitrags von Sadko
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Sehr geehrter Herr Priese!
Vielen Dank für Ihre Reaktion! Sie rügen mich zurecht, denn mir war dieser Unterschied der „Tannhäuser“-Fassungen tatsächlich unbekannt (das kommt davon, wenn man diese Oper zwar mehrmals gehört hat und daher glaubt, für das Niederschreiben der persönlichen Eindrücke fähig zu sein, sich aber nie mit der Werkgeschichte und den unterschiedlichen Fassungen beschäftigt hat). Ich wusste nicht, dass Wagner für Paris das „Walther“-Lied strich und somit Tannhäuser mit „O Wolfram (statt: „Walther“), der du also sangest, du hast die Liebe arg entstellt!“ fortsetzt, und daher glaubte ich in der Nacht, dass Sie eine Passage irrtümlich ausgelassen hätten. Nachdem ich dankenswerterweise von jemand anderem auf den Fehler hingewiesen wurde, habe ich (vor Ihrer Reaktion) die entsprechende Passage sofort aus dem Bericht gelöscht, und ich möchte für den ungerechtfertigten Vorwurf um Entschuldigung bitten.
Weil ich es ungerecht finde, dass ich hier anonym schreibe, ich aber Sie namentlich kritisiert habe und Sie hier unter Ihrem Realnamen schreiben, kann ich Ihnen, wenn Sie das möchten, gerne meinen Realnamen in einer privaten Nachricht mitteilen. (Forenöffentlich bekannt geben möchte ich ihn sicherheitshalber nicht.)
Jedenfalls danke nochmals, dass Sie sich hier zu Wort gemeldet und nicht nur meinen Irrtum berichtigt, sondern darüber hinaus auch wertvolle Informationen zur in Ostrau gespielten Fassung mitgeteilt haben! Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre weiteren musikalischen Vorhaben (und nebenbei gesagt, bewundere ich sowieso jeden, der Tannhäuser und Tristan singt; ich halte diese beiden Wagner-Rollen ja eigentlich für unzumutbar).
Ebenfalls herzliche Grüße!
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Nachtrag zum Bericht vom 5. Nov zum Tannhäuser in Ostrau: Von jemand anderem wurde ich gebeten, darauf hinzuweisen, dass es keinesfalls die letzte Aufführung war, sondern noch mehere Vorstellungen gespielt werden (teilweise in anderer Besetzung), die nächste gleich morgen (8. Nov.), siehe Homepage (Link). Wer sich eine eigene Meinung bilden möchte (und nebenbei der drittgrößten Stadt Tschechiens einen Besuch abstatten möchte, die etwa einen schönen Hautplatz hat), ist herzlich eingeladen, das spontan morgen zu tun
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Di., 7. November 2023: WIEN (Neue Oper Wien im Theater Akzent): Fabián Panisello, Die Judith von Shimoda
Die Neue Oper Wien, die ausnahmslos Werke des 20. und 21. Jahrhunderts auf den Spielplan setzt, ist ein Juwel der Wiener Musiklandschaft, und umso bedauerlicher ist, dass (so wurde es zumindest im Sept. 2022 in der Zeitung veröffentlicht) nach dem Jahre 2023 Schluss mit der Neuen Oper Wien sein soll: ein unvergleichlicher und durch nichts zu rechtfertigender SKANDAL und eine SCHANDE für die angebliche „Weltstadt der Musik“. Die Neue Oper Wien ist ein absolut notwendiger Bestandteil des Wiener Musiklebens, und ich hoffe sehr, dass diese Institution unbedingt weiter geführt wird. Die beste von mir gesehene Produktion der Neuen Oper Wien war 2018 im Semperdepot „Julie & Jean“ von Gerhard Schedl, und hätte es diese hervorragende Produktion nicht gegeben, wäre das Kulturleben in Wien um einiges ärmer gewesen; und wie man auf Wikipedia nachlesen kann, gelangten nicht unbedeutende Werke durch die Neue Oper Wien zur österreichischen Erstaufführung (etwa: 1996 „Billy Budd“, 1998 „Maschinist Hopkins“, 2000 „Candide“, 2019 „Angels in America“ und viele mehr). Wer auch immer die durch Streichung der Subventionen vorgenommene Abschaffung der Neuen Oper Wien zu verantworten hat, ist präpotent, ahnungslos, gemeingefährlich und muss sofort aus seinem Amt gejagt werden. Dass man hingegen anderen freien Operngruppen, die politisch opportuner sind, das Geld in den Arsch steckt, aber die künstlerisch VIEL wertvollere Neue Oper Wien verhungern lässt (so wie es 2011 mit der „alten“ Kammeroper geschah!), ist ein unglaublicher Skandal und ärgert mich persönlich so sehr wie nichts anderes, das den Kulturbereich betrifft.
Derzeit spielt die Neue Oper Wien im Theater Akzent die am 17. August 2023 in Bregenz uraufgeführte Oper „Die Judith von Shimoda“ (ein Auftragswerk der Bregenzer Festspiele und der Neuen Oper Wien) des 1963 geborenen Komponisten Fabián Panisello, und diese (auf einem Theaterstück Bertolt Brechts basierende) Oper besitzt leider „Längen, gefährliche Längen“, obwohl sich der Inhalt um ein interessantes Thema dreht (es geht darum, dass sich eine japanische Frau prostituiert, um Unheil von ihrem Land abzuwehren, aber die Gesellschaft eben diese Frau trotz ihrem Opfer respektlos behandelt, sodass sich die Frau dem Alkohol hingibt, aber dennoch ihr Leben lang ihren inneren Werten treu bleibt, was sich etwa daran zeigt, dass sie einen ihr gespendeten Geldschein demonstrativ verbrennt). Laut dem Dirigenten und Intendanten der Neuen Oper Wien (Walter Kobéra) wird in diesem Stück „die zentrale Frage gestellt, wie die Gesellschaft mit einem Individuum umgeht. Das Miteinander ist nämlich keine Einbahnstraße und die Geschichte der Okichi zeigt auf grausame Art und Weise, dass ihr Verdienst nicht wertgeschätzt wird.“ (Seite 15 des Programmhefts) Treffend ist auch Kobéras Charakterisierung des Personeninventars: „Die [Okichi] umgebenden Figuren setzen sich zweifelsohne aus Mitläufern und Opportunisten zusammen, die auf ihr eigenes Fortkommen bedacht und Teil des Machtsystems sind. Schlussendlich sind sie alle auch für den Abstieg der Okichi mitverantwortlich, aber niemand will das zugeben oder sehen. Sie schaffen sich eine eigene Realität.“ (ebenso Seite 15).
Aus diesem Inhalt hätte man wirklich eine tolle Oper machen können, doch dafür hätte man das Stück von Elementen des „Epischen Theaters“ Brechts möglichst befreien müssen, ein Libretto schreiben, das Personen tiefgehend charakterisiert, und eine Musik schreiben, die ins Herz geht – und das alles geschah leider nicht. Somit besitzt die insgesamt etwa 105 Minuten dauernde Oper insgesamt gute 10–15 Minuten mit Musik, die mich innerlich berührt hat (die erwähnte Szene der Geldverbrennung gehörte da etwa dazu), aber alles andere war für mich langweilig, weil die Musik nichtssagend war und die Handlung oberflächlich-distanziert vor sich ging. Das Orchester und die Stimmen wurden elektronisch verstärkt und teils verfremdet, was zwar „Programm“ dieser Oper ist, sich aber doch unangenehm anhört, und die seltsame Mischung aus Singen und Sprechen ging mir auch eher auf die Nerven.
Die Qualitäten der musikalischen Leistungen kann ich mangels Werkkenntnis leider nicht beurteilen, aber ich möchte darauf hinweisen, dass mir Anna Davidson in der Hauptrolle (Okichi) sehr gut gefiel, weil ihre Stimme schön timbriert, sehr höhensicher ist und – vor allem – weil sie die interessante Figur glaubwürdig gestaltete. Ebenfalls sehr gut fand ich Alexander Kaimbacher (Saito): Er passt viel besser in kleine Häuser als an die Wiener Staatsoper, an welcher er bis 2010 Ensemblemitglied war, und auch Karl Huml (Fürst Isa, Alter Mann, Sänger) klingt in einem kleinen Saal viel besser als an der Wiener Volksoper (dort gehörte er bis 2012 dem Ensemble an). Martin Lechleitner (Tsurumatsu, Kito) wurde als indisponiert angesagt und klang auch dementsprechend (was ich ihm natürlich nicht zum Vorwurf mache; ich bin froh, dass er trotz insbesondere zu Beginn der Aufführung stark hörbarer Indisposition sang und die Vorstellung nicht abgesagt werden musste). In Ordnung waren Megan Kahts (Ofuku, Clive), Harald Hieronymus Hein (Zweiter Stadtverordneter), Gan-ya Ben-gur Akselrod (Osai, Ray) und Timothy Connor (Townsend Harris, Erster Stadtverordneter), und was das amadeus ensemble-wien unter Walter Kobéra sowie den Wiener Kammerchor betrifft, kann ich nur schreiben, dass ich glaube, dass die Aufgaben gut erledigt wurden. Die Inszenierung stammt von Carmen C. Kruse (Bühne und Kostüme von Susanne Brendel); der ursprünglich vorgesehene Philipp M. Krenn sagte kurzfristig ab.
Insgesamt bleibt zu hoffen, dass die aktuelle Produktion (auch wenn sie meinen Geschmack kaum getroffen hat) nicht der Schwanengesang der Neuen Oper Wien ist, sondern dass die Neue Oper Wien weiterhin besteht und die Wiener Musikszene mit zu Unrecht selten gespielten Werken des 20. Jahrhunderts sowie mit Werken des 21. Jahrhunderts bereichert.
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Mi., 8. November 2023: WIEN (Staatsoper): Giacomo Puccini, Manon Lescaut
Die Absage Yusif Eyvazovs war der Hauptgrund meines erneuten „Manon Lescaut“-Besuchs. Ich bin kein Puccini-Fan, aber auch an „Manon Lescaut“ kann ich durchaus Gefallen finden (in den ersten beiden Akten kann man in schöner, farbenreicher Musik baden, welche meines Erachtens etwa jene des „Gianni Schicchi“ weit übertrifft, von Verdi ganz zu schweigen): Puccini ist meiner Erfahrung nach in Ordnung, solange man ihn nicht zu oft hört (denn dann sinkt er schnell ab, ganz im Unterschied zu Janáček, Mahler, Strauss etc., in die man sich erst hineinarbeiten muss, von denen man die Mühe aber tausendfach zurückbekommt, so jedenfalls meine Erfahrung).
Der Einspringer Joshua Guerrero machte seine Sache recht gut, der Des Grieux scheint seiner Stimme mehr entgegen zu kommen als der Luigi (im „Mantel“). Freilich, seine damals bemerkten Schwächen zeigten sich auch heute (im Endeffekt ist die Stimme einfach zu klein für die Wiener Staatsoper), aber gerade im Vergleich mit seinem unmittelbaren Rollenvorgänger erweckte er einen recht guten Eindruck, wenngleich ihm manches Piano nicht gut gelang (etwa „stella“ bei „Sul vostro destino riluce un’altra stella“) und er vor allem am Beginn der Oper so manche Höhe nach oben schmierte anstatt sie gleich dort anzusetzen, wo sie hingehört. Zu den anderen Sängern muss nicht viel geschrieben werden, weil ich mich mich wiederholen möchte: Im Vergleich zur Vorstellung am 1. Nov. fand ich Anna Netrebko und Davide Luciano ein kleines bisschen schlechter, aber dennoch sehr gut, wohingegen sich Evgeny Solodovnikov verbesserte (in der Höhe klang er recht in Ordnung, in der Tiefe allerdings nach wie vor ungenügend). Unter den Nebenrollen stach ganz eindeutig Simonas Strazdas hervor, denn seine Stimme ist sowohl schön als auch sehr laut: Ich bin gespannt, wie sich dieser junge Sänger entwickelt, und ich bin mir sicher, dass man (wenn er seine Karriere sorgsam aufbaut) von ihm noch viel zu erwarten hat. Jader Bignamini dirigierte das gut disponierte Orchester ohne Pannen; an der Inszenierung von Robert Carsen habe ich heute (noch) mehr Gefallen gefunden.
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Der erste Akt der Oper hat mir nicht besonders gefallen, ich war eher enttäuscht. Joshua Guerrero fand ich ziemlich schwach. "Donna non vidi mai" hatte gar keinen Effekt. Der Abend wurde allerdings meiner Meinung nach von Akt zu Akt besser, im 4. Akt haben sich Anna Netrebko und Guerrero "die Seele aus dem Leib" gesungen und musikalisch war das sehr eindrucksvoll. Davide Luciano war gut, aber eine außergewöhnliche Baritonstimme hat er für mich (noch) nicht. Evgeny Solodovnikov fand ich nicht so schlecht wie ich es nach den Kritiken erwartet hatte. Mit der Inszenierung kann ich nach wie vor nichts anfangen weil zumindest im letzten Akt die verzweifelte Stimmung in einem Modezentrum nicht aufkommen kann und verdursten wird man dort auch nicht. Warum Ravoir und der Kapitän ein und dieselbe Person sind, leuchtet mir nicht ein. Aber dass die Inszenierungen nicht mehr logisch sind, damit muss man sich ja heute abfinden. Es wäre so schön wenn das Musikalische mit dem Szenischen im Einklang stehen könnte, aber das soll wohl nicht so sein. Während der Aufführung gab es sehr wenig Applaus, erstaunlich für einen Puccini Abend.
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Liebe Annemarie, lieber Sadko, vielen Dank für Eure Einschätzungen!
Ich habe die Inszenierung irgendwann mal im Stream gesehen, und kann mich eigentlich nur mehr an die Schaufensterpuppen erinnern.
Mit der Inszenierung kann ich nach wie vor nichts anfangen weil zumindest im letzten Akt die verzweifelte Stimmung in einem Modezentrum nicht aufkommen kann und verdursten wird man dort auch nicht.
Genauso ging es mir auch, wenn es um Realität geht, sind wir beide immer auf dem gleichen Dampfer
Ich dachte mir, Himmel, ein Modezentrum ist doch nicht aus der Welt, da wird sich doch irgendwo was zu Trinken auftreiben lassen?
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Moderative Anmerkung (vom 11. Nov. 2023): Die von Bernadin (Link) ausgehende Diskussion über die Qualität der Opern Verdis und Puccinis wurde der besseren Übersichtlichkeit halber in diesen Thread ausgelagert: "Giuseppe Verdi vs. Giacomo Puccini (persönliche Eindrücke)" (Link).
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Liebe Annemarie! Danke für die ergänzende Schilderung der Eindrücke!
Ich glaube dass Joshua Guerrero ein guter Sänger ist, aber eben an einem kleineren Haus, die Wiener Staatsoper scheint ihm meinem Eindruck nach zu groß zu sein; einen besseren Eindruck gewann ich über Youtube, wo es eine Aufnahme von "Donna vidi mai" (Frankfurt 2019) gibt: Link. Da finde ich ihn besser (aber natürlich nicht perfekt) als live in der Wiener Staatsoper.
Und im Zuge dieser Youtube-Recherche habe ich gesehen, das ein ca. fünfminütiger Ausschnitt der Aufführung vom 8. Nov. auf Youtube ist (kein illegaler Handymitschnitt, sondern offenbar aus dem Stream). Wer sich selbst eine Meinung bilden möchte, ist herzlich eingeladen, sich diesen Ausschnitt anzuhören: Link.
Die Inszenierung gefällt mir gut, aber da muss man sich nicht einig werden
Hier gibt es übrigens einen (aus einem Interview des Jahres 2005 zusammengesetzten) Text des Regisseurs Robert Carsen zu seiner Inszenierung: Link. Zwei Ausschnitte daraus:
Als ich Manon Lescaut in Antwerpen inszeniert habe, orientierte ich mich mehr an der Atmosphäre des 18. Jahrhunderts, in dem Prévosts Roman nicht nur entstanden ist, sondern in dem er auch spielt. Für die Wiener Inszenierung habe ich mich entschlossen, es in die Gegenwart zu versetzen, was einen großen Unterschied ausmacht. Natürlich lese ich Manon Lescaut nicht gänzlich neu, aber in der Wiederbeschäftigung mit dem Stück sind mir doch auch andere Dinge stärker aufgefallen als früher, haben sich manche Akzente verschoben. Problematisch ist das Libretto, weil so viele Autoren daran beteiligt waren.
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Puccini war kein Komponist, den ich von Anfang an zu meinen Favoriten gezählt hätte. Dann aber entdeckte ich seine musikalischen und dramaturgischen Qualitäten und musste mir eingestehen, dass er viel moderner ist, als ich ursprünglich gedacht hatte. Natürlich wurzelt er in der italienischen Tradition seiner Zeit, doch blickte er stets nach vorne. Man kann das auch in Manon Lescaut hören, seiner dritten Oper, aber seiner ersten, in dem seine musikalische Handschrift voll ausgeprägt ist. Was sich als roter Faden durch sein gesamtes Schaffen zieht, ist seine Vorliebe für starke Frauen. Ich dachte zunächst, Puccinis Figuren seien alle nur Opfer. Zum Teil sind sie das natürlich auch, aber trotzdem sind sie stark und wissen genau, was sie wollen. Mimì in La bohème zum Beispiel ergreift die Initiative: Sie klopft an Rodolfos Tür und knüpft den Kontakt. Und sie bekommt, was sie sich wünscht. Oder Cio-Cio-San in Madama Butterfly: Sie setzt sich über die starren Regeln der traditionellen japanischen Gesellschaft hinweg und geht die Ehe mit Pinkerton ein, an dessen Untreue sie letzten Endes zerbrechen wird. In dieser Linie muss man auch Manon Lescaut sehen: Auch sie bekommt, wonach sie verlangt. Es sind starke, unabhängige Frauen. Puccini war es, der diesen starken, unabhängigen Frauen auf der Opernbühne zum Durchbruch verhalf, genau zu jener Zeit, als die Frauen Europas für ihre Rechte und ihre Gleichberechtigung den Kampf aufnahmen.
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Die Frankfurter Produktion war tatsächlich gut, nicht zuletzt wegen Grigorian.
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Sa., 11. November 2023: WIEN (Staatsoper): György Ligeti, Le Grand Macabre
Prinzipiell freue ich mich, wenn ein Opernhaus Werke der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf den Spielplan setzt, aber es müssen halt solche Werke sein, deren Aufführung sich auszahlt (ein solches wäre der zwar geplante, aber entweder verschobene oder ganz abgesagte, weil durch den Poulenc im Mai 2023 ersetzte „Saint François d’Assise“ Messiaens!). Ligetis „Le Grand Macabre“ (gespielt wurde die zweite Fassung in deutscher Sprache) gehört eindeutig nicht in diese Kategorie, wiewohl der Inhalt sicherlich einen guten Opernstoff abgeben könnte (ich zitiere die Staatsopernhomepage: „In ein imaginäres, korruptes Schlaraffenland – das »verfressene, versoffene und verhurte« Breughelland – platzt eines Tages der Tod alias Nekrotzar alias der dämonische Große Makabre, um die unmittelbare Zerstörung der Welt und der frivolen Menschheit zu verkünden. Durch die ihm unbekannten Gelüste des Lebens verführt und überwältigt, stirbt am Ende aber ausschließlich Nekrotzar selbst. Alle anderen gelangen zur Moral, dass ihr vorläufiges Überleben zur Beibehaltung des bis dahin geführten Lebenswandels genutzt werden sollte.“) Leider ist die „Musik“ (bewusst in Anführungszeichen) dieser heute zur Staatsopern-Erstaufführung gelangten Oper (an der Neuen Oper Wien konnte man sie in der Saison 2012/13 erleben) total belanglos, sehr oberflächlich und einfach keiner Aufführung wert, somit war es im Ligeti-Jahr ein „Opernbesuch für die Statistik“, den ich völlig gleichgültig verlassen habe mit dem Vorsatz, dieses Stück heute zum ersten und letzten Mal gehört zu haben (normalerweise bin ich nach einer Vorstellung stunden-, wenn nicht tagelang mit Musik erfüllt, was heute so gar nicht der Fall ist). Man darf gar nicht daran denken, welche tollen Stücke man mit den heute verwendeten Ressourcen spielen hätte können…
Wenn ich die Banalität der Komposition ignoriere und versuche, die Sängerleistungen zu beschreiben, komme ich zu einem erfreulichen Ergebnis: Georg Nigl in der Hauptrolle war zwar vor der Pause ein wenig im Sparmodus unterwegs, und entfaltete erst nach der Pause sein Potential – aber dennoch glaube ich, dass man für diese Rolle einen etwas stimmgewaltigeren Sänger brauchen würde. Ein solcher war Wolfgang Bankl früher gewesen, heute musste ich leider stimmliche Abnützungserscheinungen feststellen, wobei er natürlich nach wie vor ein guter Sänger ist, außerdem dünkt mich, dass man für den Astradamors einen stimmlich wandlungsfähigeren Sänger braucht als den stimmgewaltigen Bankl. Sehr gut war Gerhard Siegel als Piet, und ausgezeichnet fand ich den Countertenor Andrew Watts. Solide war Marina Prudenskaya als Mescalina, gut taten Maria Nazarova und Isabel Signoret als Amanda und Amando ihre Pflicht, und den deutlichen Schwachpunkt stellte Sarah Aristidou dar (Chef der Gepopo und Venus), denn ihre Stimme ist zu klein für das Haus. Unter den Nebenrollen fiel Daniel Jenz (weißer Minister) angenehm auf, Hans Peter Kammerer (schwarzer Minister) hingegen unangenehm (Kammerer versuchte, mit Brüllen seine Nicht-Stimme zu vergrößern).
Ist mir die Beschreibung der Sängerleistungen mangels Stückkenntnis schwer gefallen, kann ich zum Dirigenten (Pablo Heras-Casado) und zum Orchester noch weniger sagen, nämlich nichts außer dass mir keine Unstimmigkeiten aufgefallen sind. Wieso der Slovakische Philharmonische Chor geholt wurde und nicht der Chor der Wiener Staatsoper sang, entzieht sich jedoch meiner Kenntnis (dem Vernehmen nach war dies im „Eugen Onegin“ so, weil der Dirigent Tomáš Hanus auf der Anwesenheit aller Chorsänger bei allen Vorstellungen bestanden haben soll; vielleicht war es auch heute so). Sehr gut finde ich die Inszenierung und das Bühnenbild von Jan Lauwers (Kostüme von Lot Lemm), weil sie gut choreographiert ist und den skurillen Charakter des Stückes abbildet, aber mir fehlen Vergleichsmöglichkeiten.
Die Mitwirkenden wurden freundlich beklatscht, beim Regieteam regte sich kein Widerspruch, allerdings auch keine überschäumende Begeisterung; wie bei diesem Stück nicht anders zu erwarten, wurde die Vorstellung zwar anerkennend, aber nicht enthusiastisch beklatscht. Abschließend möge noch eine Kuriosität erwähnt werden: Genau am selben Abend fand im Wiener Konzerthaus ein Benefizkonzert für die St. Anna Kinderkrebsforschung statt, das von der „Ristorante Sole Nuredini GmbH“ veranstaltet wurde (in solche Lokale wie in dieses in der Annagasse 8 bringen mich keine zehn Pferde, aber angeblich kehren dort die meisten Staatsopernsänger nach der Vorstellung ein). Erwähnenswert ist das deshalb, weil die „musikalische Leitung“ bei Bogdan Roščićs Vorgänger Dominique Meyer lag, Thomas Dänemark für die Moderation verantwortlich zeichnete (Dänemark ist Generalsekretär der „Freunde der Wiener Staatsoper“, die von Roščićs „Offiziellem Freundeskreis der Wiener Staatsoper“, soweit ich weiß, ausgebootet wurden) und dort zahlreiche Sänger auftraten, die früher oft in Wien sangen und von Roščić bedauerlicherweise ignoriert werden (etwa: Paata Burchuladze, Sorin Coliban, Ferruccio Furlanetto, Robert Holl, Antonino Siragusa, Linda Watson und einige mehr). Ich kann die Übereinstimmung mit dem Premierentermin nur dahingehend interpretieren, als wollte man der Direktion Roščić öffentlichkeitswirksam den Mittelfinger zeigen, und es ist schon interessant, über welche Macht ein italienisches Restaurant verfügt.
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Da müssen Sie wohl in einer anderen Vorstellung gewesen sein - nur selten habe ich derartig einhellige Begeisterung erleben dürfen.
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Zumindest auf der Galerie war der Applaus zwar freundlich, aber keinesfalls begeistert. Wie fanden Sie die Aufführung?
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Ich sehe sie in 2 Wochen. Werde dann meine Meinung dazu kundtun.
Aber vorerst heute zum 6.Figaro (wegen Patricia Nolz).
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